Das Chagrinleder (German Edition)
Gold war, stellte ihn auf den Tisch, und wir tanzten um ihn herum wie zwei Kannibalen um ihr Opfer, heulten, stampften, sprangen, versetzten uns Faustschläge, die ein Rhinozeros niedergestreckt hätten, und sangen lauthals angesichts aller Freuden der Welt, die für uns in diesem Hut enthalten waren. »27000 Francs!« rief Rastignac und warf noch ein paar Scheine auf den Goldhaufen. »Anderen könnte dieses Geld zum Leben genügen, aber ob es uns zum Sterben genug ist? O ja, wir werden in einem Goldbad dahinscheiden! Hurra!« Wir fingen von neuem mit unsern Bocksprüngen an. Dann machten wir uns wie lachende Erben ans Teilen, Stück für Stück; bei den Doppelnapoleons fingen wir an, gingen von den großen Münzen zu den kleinen über und kosteten unsere Freude tropfenweise, indem wir immer wieder sagten: »Das dir! Das mir!« – »Heute schlafen wir nicht!« rief Rastignac. »Joseph, Punsch!« Er warf seinem treuen Diener Gold zu: »Da hast du deinen Anteil«, sagte er, »begrabe dich, wenn du kannst!« Am Tag darauf kaufte ich bei Lesage Möbel, mietete die Wohnung in der Rue Taitbout, in der du mich kennengelernt hast, und beauftragte den besten Tapezierer mit der Ausstattung. Ich schaffte mir Pferde an. Ich stürzte mich in einen Wirbel von eitlen und von wirklichen Genüssen. Ich spielte, gewann und verlor abwechselnd ungeheure Summen, aber auf Festen, bei Freunden, nie in Spielhäusern, vor denen ich meine frühere heilige Scheu beibehielt. Allmählich fand ich Freunde. Ich verdankte ihre Anhänglichkeit kleinen Streitigkeiten oder der vertrauensseligen Leichtfertigkeit, mit der wir uns unsere Geheimnisse anvertrauen und uns gemeinsam erniedrigen; aber vielleicht sind nur die Laster unser Bindeglied? Ich wagte mich an einige literarische Arbeiten, die mir Komplimente eintrugen. Da die Leuchten der Literatenwelt in mir keinen gefährlichen Konkurrenten sahen, lobten sie mich, ohne Zweifel weniger wegen meines persönlichen Verdienstes, als um das ihrer Kollegen zu schmälern. Ich wurde ein Lebemann, um mich dieses malerischen Ausdrucks zu bedienen, den eure Orgiensprache erfunden hat. Es war mir eine Ehrensache, mich schnell umzubringen, mit meinem Schwung und meiner Ausdauer die heitersten Kumpane auszustechen. Ich war immer frisch, immer elegant. Ich galt für geistvoll. Man sah mir das furchtbare Dasein nicht an, das aus dem Menschen einen Trichter, einen Verdauungsapparat, ein Luxuspferd macht. Bald erschien mir die Ausschweifung in der ganzen Majestät ihres Grauens, und ich verstand sie! Keine Frage: die vernünftigen Leute aus geordneten Verhältnissen, die Weinflaschen für ihre Erben etikettieren, können weder die Theorie dieses unermeßlichen Lebens noch dessen Normalzustand auch nur annähernd begreifen; wie soll man Provinzlern, für die Opium und Tee, in denen eine solche Fülle von Wonnen schlummern, noch immer nur Arzneien sind, die Poesie dieses Lebens beibringen? Findet man nicht selbst in Paris, dieser Hauptstadt des Geistes, kleinmütige Sybariten? [Fußnote: Sybariten : Bewohner der antiken italienischen Stadt Sybaris, deren schwelgerisches Wohlleben im Altertum sprichwörtlich war.] Unfähig, das Übermaß des Genusses zu vertragen, schleppen sie sich ermattet von einer Orgie weg, wie die biederen Bürger, die eine neue Oper von Rossini gehört haben und nachher die Musik verdammen? Entsagen sie nicht diesem Leben, wie ein maßvoller Mensch keine Pasteten von Ruffec mehr essen will, weil ihm die erste den Magen verdorben hat? Die Ausschweifung ist sicherlich eine Kunst wie die Poesie und braucht starke Seelen. Um ihre Geheimnisse zu fassen, ihre Köstlichkeiten zu schlürfen, muß man sich einigermaßen gründlichen Studien hingeben. Wie alle Wissenschaften ist sie im Anfang abschreckend und dornenvoll. Ungeheure Hindernisse umgeben die großen Freuden des Menschen, nicht seine Vergnügungen im einzelnen, sondern die Systeme, welche die seltensten Empfindungen zur Gewohnheit erheben, ihnen Intensität verleihen, sie für ihn fruchtbar machen, indem sie in sein Leben ein dramatisches Element bringen und ihn zu einem unmäßigen, schnellen, verschwenderischen Verbrauch seiner Kräfte nötigen. Der Krieg, die Macht, die Künste bringen Verderbtheiten hervor, die menschlichem Begreifen ebenso fernliegen wie die Ausschweifung, und zu denen der Zugang ebenso schwierig ist. Aber hat der Mensch erst einmal diese großen Geheimnisse im Sturm genommen, schreitet er wie in einer neuen Welt.
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