Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Chagrinleder (German Edition)

Das Chagrinleder (German Edition)

Titel: Das Chagrinleder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
einen ›Historischen und Philosophischen Essay über die Namen von Männern, Völkern und Orten‹ (1823)] gesagt. Ich sah mich also selbst, wie ich in der Welt herumvagabundierte und schließlich wie der Doppelgänger in der Geschichte eines Deutschen in meine Wohnung zurückkam, die ich doch nicht verlassen hatte, um mich selbst aus dem Schlaf zu schrecken. Früher hatte ich diese Bankmenschen, diese Vertreter kommerziellen Gewissens, stets in Grau gekleidet – sie tragen die Livree ihres Herrn, der Silbermünze –, gleichgültig in den Straßen von Paris wahrgenommen; jetzt aber haßte ich sie im voraus. Würde nicht eines Morgens einer von ihnen für die elf Wechsel, die ich gekritzelt hatte, Bezahlung verlangen? Meine Unterschrift war 3000 Francs wert, ich selbst nicht so viel! Mit ihren Mienen, gleichgültig gegen jede Verzweiflung, selbst gegen den Tod, erstanden die Gerichtsvollzieher vor mir wie Henker, die zu einem Verurteilten sagen: ›Es hat halb vier Uhr geschlagen, Ihre Schreibknechte hatten das Recht, sich meiner zu bemächtigen, meinen Namen zu kritzeln, ihn zu beschmutzen, ihn zu verspotten. » Ich schuldete .« Schulden haben, heißt das noch sich selbst gehören? Konnten nicht fremde Menschen Rechenschaft über mein Leben verlangen? Mich fragen, warum ich Puddings à la chipolata gegessen hätte? Warum ich Eisgekühltes tränke? Warum ich schliefe, ginge, dachte, vergnügt wäre, ohne sie zu bezahlen? Mitten in einem Gedicht, in einem Gedankengang oder beim Frühstück im Kreis der Freunde, der Lust, vergnügter Scherzreden konnte ich einen Herrn in braunem Rock mit einem schäbigen Hut in der Hand eintreten sehen. Dieser Herr wird meine Schuld, wird mein Wechsel sein, ein Gespenst, das meine Freude verdirbt, mich zwingt, vom Tische aufzustehen und mit ihm zu sprechen; er wird mir meinen Frohsinn, meine Geliebte, wird mir alles wegnehmen, bis auf das Bett. Die Reue ist weniger fürchterlich, sie setzt uns nicht auf die Straße und bringt uns nicht in Schuldhaft, sie taucht uns nicht in diesen gräßlichen Sündenpfuhl; sie bringt uns nur auf das Schafott, wo der Henker uns adelt: im Augenblick unserer Hinrichtung glaubt jeder an unsere Unschuld, wohingegen die Gesellschaft dem Wüstling ohne Geld keine Tugend lässt. Und zu alledem noch diese zweibeinigen Schulden, die, in grünes Tuch gekleidet, blaue Brillengläser oder bunte Regenschirme tragen; diese fleischgewordenen Schulden, denen wir just in dem Augenblick, in dem wir eben vergnügt lächeln, an einer Straßenecke von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, diese Leute, die das gräßliche Privileg haben, zu sagen: – »Monsieur de Valentin schuldet mir Geld und bezahlt mich nicht. Er gehört mir! Daß er mir ja kein unfreundliches Gesicht schneidet!« Man muß also seine Gläubiger grüßen, recht freundlich grüßen. – ›Wann gedenken Sie mich zu bezahlen?‹ fragen sie. Und wir sind genötigt zu lügen, einen anderen wegen Geldes anzuflehen, vor einem dummen Tropf, der auf seinem Säckel sitzt, einen Bückling zu vollführen, seinen kalten Blick, einen Blutegelblick auszuhalten, der schlimmer ist als eine Ohrfeige, sich seiner Rechenmoral und seiner krassen Unwissenheit zu beugen. Eine Schuld ist ein Werk der Phantasie, für das sie kein Verständnis haben. Ein Aufschwung der Seele reißt so manches Mal einen Menschen dazu hin, Schulden zu machen, und beherrscht ihn, während die, die im Gelde leben und nichts als das Geld kennen, von nichts Großem beherrscht, von nichts Edelmütigem geleitet werden. Ich hatte einen Abscheu vor dem Geld. Schließlich kann sich der Wechsel in einen tugendhaften Greis verwandeln, einen Familienvater. Ich war vielleicht einem lebenden Bild von Greuze [Fußnote: Greuze , Jean-Baptiste (1725-1805): französischer Maler vor allem idyllischer Familienszenen] Geld schuldig, einem Gelähmten mit einer Kinderschar oder einer Soldatenwitwe, die mir alle ihre erhobenen Hände entgegenstreckten. Furchtbare Gläubiger, mit denen wir weinen müssen und denen wir, wenn wir sie bezahlt haben, auch noch Beistand schulden. Am Abend vor dem Verfallstag hatte ich mich mit der falschen Ruhe derer schlafen gelegt, die sich auch vor ihrer Hinrichtung oder vor einem Duell immer noch in trügerischer Hoffnung wiegen. Aber als ich aufwachte, als ich kalten Blutes überlegte, als ich fühlte, wie meine Seele im Portefeuille eines Bankiers steckte, mit roter Tinte auf einer Liste voller Zahlen geschrieben stand, da

Weitere Kostenlose Bücher