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Das Chagrinleder (German Edition)

Das Chagrinleder (German Edition)

Titel: Das Chagrinleder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sich sehnen. Verspüren sie nicht all die Notwendigkeit völliger Ruhe, und ist die Ausschweifung nicht eine Art Steuer, die das Genie dem Bösen zahlt? Sieh dir all die großen Männer an: wenn sie nicht wollüstig sind, hat die Natur ihnen einen kümmerlichen Körper gegeben. Eine Macht, sei sie nun boshaft oder eifersüchtig, verdirbt ihnen die Seele oder den Körper, um gegen die Mühen ihres Talents ein Gegengewicht zu schaffen. In solchen Stunden des Weinrausches erscheinen uns Menschen und Dinge in den Gewändern, die wir selbst ihnen geben. Als König der Schöpfung wandeln wir sie nach unserem Gefallen. In diesem fortwährenden Fiebertaumel gießt uns das Spiel nach unserem Willen sein flüssiges Blei in die Adern. Eines Tages sind wir dem Ungeheuer hörig, dann gibt es, wie es mir erging, ein fürchterliches Erwachen: die Ohnmacht sitzt an unserem Bett. Den alten Krieger verzehrt die Schwindsucht; eine Herzerweiterung hält das Leben des Diplomaten am seidenen Faden; mir sagt vielleicht bald eine Lungenentzündung: »Erledigt!«, wie einstmals zu Raffael aus Urbino, [Fußnote: Raffael aus Urbino : Raffael (1483-1520), Hauptmeister der Renaissance, dessen Geburtsort Urbino ist. Die Anspielung Balzacs auf die Todesursache Raffaels basiert auf einem Gerücht] den seine Ausschweifungen in der Liebe dahingerafft haben. Sieh, so habe ich gelebt! Ich bin entweder zu früh oder zu spät in das Leben dieser Welt geraten; zweifellos wäre meine Kraft ihr gefährlich geworden, wenn ich sie nicht auf diese Art zerrüttet hätte; wurde die Welt nicht von Alexander befreit durch den Herkuleskelch, [Fußnote: ... wurde die Welt nicht von Alexander befreit durch den Herkuleskelch : nach dem griechischen Geschichtsschreiber Diodorus, gen. Siculus (1. Jh. v. Chr.), fand Alexander der Große (um 356-323 v. Chr.) den Tod, als er nach einem Gastmahl einen gewaltigen Kelch Wein mit einem Zuge leerte] den er am Ende eines Gelages leerte? Kurz, gewisse vom Schicksal betrogene Existenzen brauchen den Himmel oder die Hölle, die Ausschweifung oder das Hospiz auf dem Sankt Bernhard. Deswegen hatte ich nicht den Mut, diesen beiden Geschöpfen«, damit wies er auf Euphrasie und Aquilina, »Moral zu predigen. Waren sie nicht die Verkörperung meiner Geschichte, ein Abbild meines Lebens? Ich vermochte sie nicht anzuklagen, sie erschienen mir wie Richter. Mitten in diesem erlebten Gedicht, dieser betäubenden Krankheit hatte ich aber zwei Krisen, die mir eine Fülle herber Schmerzen bereiteten. Zunächst begegnete ich einige Tage, nachdem ich mich wie Sardanapal [Fußnote: Sardanapal (um 650 v. Chr.): letzter assyrischer König, galt unter den Griechen als Urbild des Schwelgers] auf meinen Scheiterhaufen geworfen hatte, im Foyer der Bouffons Fœdora. Wir warteten auf unsere Wagen. – »Ah, finde ich Sie also noch am Leben!« So etwa konnte man ihr Lächeln und die boshaften leisen Worte deuten, die sie ihrem Begleiter zuraunte, dem sie sicherlich meine Geschichte erzählte, wobei sie meine Liebe zu einer ganz gewöhnlichen Liebe herabwürdigte. Sie beglückwünschte sich zu ihrem falschen Scharfblick. Oh, um ihretwillen zu sterben, sie noch immer anzubeten, sie vor Augen zu haben in meinen Ausschweifungen, im Rausch, im Bett der Kurtisanen und Zielscheibe ihres Spottes sein! Oh, daß ich nicht meine Brust zerfleischen, meine Liebe herausreißen und ihr zu Füßen werfen konnte. Ich erschöpfte meinen Schatz natürlich rasch; aber drei Jahre mäßigen Lebens hatten mich mit einer überaus robusten Gesundheit versehen, und an dem Tage, da ich kein Geld mehr hatte, ging es mir ganz vortrefflich. Um meinen Selbstmord fortsetzen zu können, unterzeichnete ich kurzfristige Wechsel, und der Zahltag kam heran. Grausame Erregungen! Wie sie Leben in die jungen Herzen bringen! Ich war noch nicht zum Altern geschaffen; meine Seele war noch immer jung, lebhaft und frisch. Meine ersten Schulden riefen alle meine Tugenden wieder wach; sie nahten mit langsamen Schritten und schienen verzweifelt. Ich wußte mich aber mit ihnen abzufinden wie mit alten Tanten, die uns anfänglich schelten und dann Tränen und Geld spenden. Meine Fantasie aber war strenger; sie hielt mir meinen Namen vor, wie er von Stadt zu Stadt, auf allen Plätzen Europas ausgeschrieben wurde. – »Unser Name sind wir selbst«, hat Eusèbe Salverte [Fußnote: Eusèbe Salverte , Pierre-Joseph-Eusèbe Baconnière de Salverte (1771-1839): französischer Philosoph und Politiker, verfaßte

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