Das Dampfhaus
führt bis zum Strande des indischen Oceans!
– Die Straße nach Bombay, entgegnete Nana Sahib mit eigenthümlichem Tone, reicht diesesmal nur bis zu den Vindhyas!«
Diese Antwort sagte Alles.
Die Gesellschaft stieg wieder zu Pferde und verschwand in dem Baumdickicht vor dem Ufer der Nerbudda.
Es war jetzt fünf Uhr Morgens. Schon graute der Tag. Nana Sahib, Balao Rao und ihre Genossen kamen eben an dem Wildbett der Nazzur an, das den Weg nach dem Pal hinauf bildet.
An diesem Punkte ließ man die Pferde unter der Aufsicht zweier Gounds zurück, die sie nach dem nächsten Dorfe führen sollten.
Die Uebrigen folgten den beiden Brüdern und Alle kletterten die unter dem Wasser des Bergbaches erzitternden Stufen hinan.
Ringsum war es still. Noch unterbrach das Geräusch des Tages nicht die Stille der Nacht.
Plötzlich donnerte ein Schuß durch die Luft, dem mehrere andere nachfolgten. Gleichzeitig hörte man von oben ein dreifaches Hurrah!
Ein Officier, der einen Trupp von fünfzig Soldaten führte, erschien neben dem Pal.
»Feuer! Daß Keiner entkomme!« rief er noch einmal.
Sofort erfolgte eine neue Salve, welche aus nächster Nähe auf die Nana Sahib und seinen Bruder umgebenden Gounds abgegeben wurde.
Fünf oder sechs Hindus fielen; die Uebrigen sprangen in das Bett des Nazzur zurück und verschwanden im Walde.
»Nana Sahib! Nana Sahib!« riefen die Engländer, während sie in die enge Schlucht hinabdrangen.
Da erhob ein zu Tode Getroffener noch einmal die Hand gegen sie.
»Tod und Verderben den Eroberern!« preßte er mit schrecklicher Stimme noch hervor und fiel bewegungslos zurück.
Der Officier trat an den Leichnam heran.
»Ist das etwa Nana Sahib? fragte er.
– Ja, er ist es, antworteten zwei Soldaten des Detachements, die den Nabab von ihrem Aufenthalte in Khanpur her genau kannten.
– Nun, dann auf die Anderen!« commandirte der Officier. Die ganze Abtheilung eilte in den Wald zur Verfolgung der Gounds.
Kaum waren Alle verschwunden, als ein Schatten geräuschlos den Abhang vom Pal herunterglitt.
Es war die wandelnde Flamme, eingehüllt in ein langes Stück braunen Stoffes, den ein Strick um die Hüften zusammenhielt.
Am Vorabend hatte die Wahnsinnige unbewußt den Officier und seine Leute hierher geführt. Kaum in das Thal zurückgekehrt, suchte sie ganz willenlos den Pal von Tandit auf, nach dem eine Art Instinct sie hinzog. Diesmal aber ließ das sonderbare Wesen, das man sonst für stumm hielt, einen Namen über die Lippen gleiten, nur den einen des Massenmörders von Khanpur!
»Nana Sahib! Nana Sahib!« wiederholte sie immer, als ob das Bild des Nabab durch eine unerklärliche Ahnung wieder vor ihre Seele getreten wäre.
Dieser Name erregte die Aufmerksamkeit des Officiers im höchsten Grade. Er folgte der Wahnsinnigen auf dem Fuße. Sollte hier der Nabab sich versteckt halten, auf dessen Kopf ein Preis ausgesetzt worden war?
Der Officier traf die geeigneten Maßregeln und ließ das Bett des Nazzur bis zum Anbruch des Tages bewachen. Als Nana Sahib und die Gounds dasselbe betreten hatten, empfing er sie mit einer Salve, welche mehrere zu Boden streckte und unter diesen den Anführer des Aufstandes der Sipahis.
Der Art war das Zusammentreffen, welches der Telegraph noch am nämlichen Tage dem Gouverneur der Präsidentschaft Bombay meldete. Die Nachricht verbreitete sich blitzschnell über die ganze Halbinsel, und so konnte sie Oberst Munro am 26. Mai aus der Zeitung von Allahabad erfahren.
Diesesmal war an dem Tode Nana Sahib’s nicht zu zweifeln. Seine Identität wurde ja festgestellt und das Journal brachte die Worte:
»Das indische Reich hat für die Zukunft nichts mehr zu fürchten von dem unmenschlichen Rajah, der ihm so viel Blut gekostet hat!«
Nachdem die Wahnsinnige den Pal verlassen, stieg auch sie in dem Bette des Nazzur herab. Aus ihren unstäten Augen leuchtete es wie ein inneres Feuer, das plötzlich aufgeflammt schien, und ihre Lippen murmelten den Namen des Nabab.
So kam sie nach der Stelle, wo die Leichen lagen, und stand vor der still, welche die Soldaten von Khanpur erkannt hatten. Das Gesicht des Todten hatte noch einen drohenden Ausdruck.
Die Wahnsinnige kniete nieder und legte ihre Hand auf den von Kugeln durchbohrten Körper, dessen Blut die Falten ihrer Hülle befleckte. Sie sah ihn lange stier an, erhob sich, mit dem Kopfe schüttelnd, und stieg langsam das Bett des Nazzur hinab. Dann versank die wandelnde Flamme wieder in ihre gewohnte
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