Das Darwin-Virus
rollte es zusammen, schob es in den langen Zeltsack, zog dann mit Kayes Hilfe die Heringe heraus und band sie klappernd zu einem Bündel zusammen, das von oben bis unten mit den Spannleinen umwickelt war.
Sie hatten in dieser Nacht nicht miteinander geschlafen, und Mitch hatte kaum ein Auge zugetan.
»Hast du geträumt?«, fragte Kaye, während sie heißen Kaffee aus dem Topf auf dem Campingkocher einschenkte.
Mitch schüttelte den Kopf. »Und du?«
»Ich habe höchstens ein paar Stunden geschlafen, und da habe ich von der Arbeit bei EcoBacter geträumt. Von vielen Leuten, die kamen und gingen. Du warst auch dabei.« Kaye wollte ihm nicht erzählen, dass sie ihn im Traum nicht erkannt hatte.
»Nicht sehr spannend«, erwiderte er.
Unterwegs sahen sie kaum etwas Ungewöhnliches, kaum etwas, das nicht normal war. Sie fuhren in westlicher Richtung auf einer zweispurigen Straße und kamen durch Kleinstädte, Bergbaustädte, alte Städte, heruntergekommene Städte, renovierte und reparierte Städte, aufgemöbelte Orte mit reichen alten Vierteln, in denen man großartige alte Häuser zu Hotels und Pensionen für wohlhabende junge Leute aus Philadelphia, Washington und sogar New York umgebaut hatte.
Mitch schaltete das Radio ein und hörte von Lichterketten am Kapitol, Feierlichkeiten zu Ehren der toten Senatoren und von der Bestattung der anderen, die bei dem Tumult umgekommen waren. Es gab Berichte über die Impfstoffentwicklung und die Ansicht der Wissenschaftler, die Führungsrolle habe jetzt James Mondavi oder sogar eine Arbeitsgruppe an der Princeton University. Jackson war offenbar aus dem Rennen, und trotz allem, was geschehen war, tat es Kaye Leid für ihn.
Mittags aßen sie im High Street Grill in Morgantown, einem neuen Restaurant, das alt und gut eingeführt aussehen sollte –
Einrichtung im Kolonialstil und Holztische mit einfacher Kunststoffplatte. Das Schild vor der Tür besagte, das Lokal sei »nur wenig älter als das Jahrtausend und viel weniger bedeutend«.
Während Kaye an ihrem ClubSandwich knabberte, beobachtete sie Mitch genau.
Mitch mied den Blickkontakt und sah sich unter den anderen Gästen um: Alle waren stur damit beschäftigt, ihrem Körper Nahrung zuzuführen. Ältere Paare saßen da und schwiegen; ein einsamer Mann hatte seine Wollmütze neben einer Tasse Kaffee auf den Tisch gelegt; in einer Nische stocherten drei junge Mädchen mit langen Löffeln in Eisbechern. Das Personal war jung und freundlich; von den Frauen trug keine eine Maske.
»Hier fühle ich mich fast wie ein ganz normaler Mensch«, sagte Mitch leise und betrachtete die Schüssel Bohneneintopf vor sich.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich ein guter Vater sein könnte.«
»Warum?«, fragte Kaye ebenso leise, als hätten sie ein gemeinsames Geheimnis.
»Ich habe mich immer auf die Arbeit konzentriert, auf das Vagabundenleben und das Reisen an Orte, die Interessantes versprachen. Ich bin ziemlich egoistisch. Ich hätte nie gedacht, dass eine intelligente Frau mich als Vater ihrer Kinder oder übrigens auch als Ehemann haben wollte. Manche haben mir eindeutig zu verstehen gegeben, dass sie nicht deshalb mit mir zusammen waren.«
»Ja, ja«, sagte Kaye. Sie war völlig auf ihn fixiert, als könne jedes Wort die entscheidende Antwort enthalten, die für sie ein großes Rätsel löste.
Die Kellnerin fragte, ob sie noch Tee oder Nachtisch wünschten. Sie lehnten ab.
»Hier ist es so normal«, sagte Mitch und beschrieb mit seinem Löffel einen Bogen, als wollte er das Restaurant ausmessen. »Ich fühle mich wie ein großer Käfer mitten in einem Wohnzimmer von Norman Rockwell.«
Kaye lachte. »Da ist es wieder«, sagte sie.
»Was heißt das, ›Da ist es wieder?‹«
»Als du das gesagt hast. Sofort habe ich gespürt, wie es in mir gezittert hat.«
»Das ist das Essen«, erwiderte Mitch.
»Das bist du.«
»Bevor ich Vater werde, muss ich erst mal Ehemann sein.«
»Es ist sicher nicht das Essen. Ich zittere, Mitch.« Sie streckte die Hand aus, und er legte den Löffel hin, um nach ihr zu greifen. Sie hatte kalte Finger und klapperte mit den Zähnen, obwohl es hier drinnen warm war.
»Ich finde, wir sollten heiraten«, sagte Mitch.
»Eine schöne Idee.«
Mitch schob die Hand nach vorn. »Willst du mich heiraten?«
Kaye hielt einen Augenblick die Luft an. »Du liebe Güte, ja«, erwiderte sie mit einem kurzen Seufzer der Erleichterung.
»Wir sind verrückt, und wir wissen nicht, was uns
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