Das Darwin-Virus
ihrer Brustwarze. Die Kleine sah ihre Mutter prüfend an, drehte den Kopf, wobei sie die Warze mitzog, und blickte ins Zimmer, zu Felicity und Mitch.
Die rehbraunen, goldgesprenkelten Augen ließen Mitch dahinschmelzen.
»Schon so weit entwickelt«, sagte Felicity. »Sie ist einfach bezaubernd.«
»Was hatten Sie denn gedacht?«, fragte Kaye leise und mit einem leichten Zwitschern in der Stimme. Mitch erschrak ein wenig, als er einen Anklang an den Tonfall des Babys wiedererkannte.
Stella Nova zwitscherte beim Saugen wie ein hübscher kleiner Vogel. Sie sang während des Trinkens, zeigte ihre Zufriedenheit, ihr Entzücken.
Hinter Mitchs Lippen bewegte sich die Zunge in unruhiger Zuneigung. »Wie macht sie das?«, fragte er.
»Keine Ahnung«, sagte Kaye, und es war nur allzu offensichtlich, dass es sie im Augenblick auch nicht kümmerte.
»Sie ist in vielerlei Hinsicht wie ein Baby von sechs Monaten«, sagte Felicity zu Mitch, während sie das Gepäck vom Auto zum Wohnwagen trug. »Es sieht aus, als könnte sie sich schon konzentrieren, Gesichter erkennen … Stimmen …« Sie machte leise hmmm, als wollte sie sich um das herumdrücken, was Stella eindeutig von anderen Neugeborenen unterschied.
»Sie hat noch nicht wieder gesprochen«, sagte Mitch.
Felicity hielt ihm die Fliegentür auf. »Vielleicht haben wir es uns eingebildet«, erwiderte sie.
Kaye legte das schlafende Baby in einer Ecke des Wohnzimmers in ein Kinderbettchen. Sie breitete eine leichte Decke über Stella und streckte sich mit einem leisen Ächzen. »Wir haben richtig gehört«, sagte sie, ging zu Mitch und hob ein Stück der Maske von seinem Gesicht.
»Au«, schrie er. »Es ist noch nicht so weit.«
»Sieh mal«, sagte Kaye, plötzlich ganz die Wissenschaftlerin.
»Wir haben Melanophoren. Sie hat Melanophoren. Die meisten oder sogar alle neuen Eltern werden sie bekommen. Und was unsere Zunge angeht – die ist mit etwas Neuem in unserem Kopf verbunden.« Sie tippte sich an die Schläfe. »Wir sind so ausgerüstet, dass wir mit ihr umgehen können, und zwar fast gleichberechtigt.«
Felicity war verblüfft über den Wandel von der frisch gebackenen Mutter zur objektiv beobachtenden Kaye Lang. Kaye erwiderte ihren Blick mit einem Lächeln. »Während der Schwangerschaft war ich wie eine Kuh«, sagte sie. »Nach diesen neuen Hilfsmitteln zu urteilen, wird unsere Tochter ein sehr schwieriges Kind.«
»Wieso?«, fragte Felicity.
»Weil sie uns in mancher Hinsicht voraus sein wird.«
»Vielleicht in jeder Hinsicht«, fügte Mitch hinzu.
»Das meinen Sie doch nicht wörtlich«, sagte Felicity. »Zumindest kann sie nach der Geburt noch nicht laufen. Die Hautfarbe allerdings – die Melanophoren, wie Sie sie nennen – könnte …«
»Das ist nicht nur Farbe«, sagte Mitch. »Ich spüre sie.«
»Ich auch«, ergänzte Kaye. »Sie verändern sich. Stell dir nur vor, das arme Mädchen.« Sie sah Mitch an. Er nickte und erzählte Felicity von der Begegnung mit den drei Jugendlichen in Virginia.
»Wenn ich die Taskforce wäre, würde ich psychiatrische Stationen für die Eltern verstorbener neuer Kinder einrichten«, sagte Kaye. »Die könnten es mit einer ganz neuen Art von Trauer zu tun bekommen.«
»Vollständige Ausstattung, und keiner, mit dem sie reden können«, sagte Mitch.
Felicity holte tief Luft und fasste sich an die Stirn. »Ich bin seit zweiundzwanzig Jahren Kinderärztin«, sagte sie, »aber jetzt habe ich das Gefühl, ich sollte aufgeben und mich im Wald verstecken.«
»Gib der armen Frau mal ein Glas Wasser«, sagte Kaye. »Oder hätten Sie lieber Wein? Mitch, ich brauche jetzt einen Schluck Wein. Ich habe seit über einem Jahr keinen Tropfen getrunken.«
Sie wandte sich an Felicity. »Stand in dem Bericht etwas über Alkohol?«
»Kein Problem. Für mich auch Wein, bitte.«
Kaye kam Mitch in der kleinen Küche mit dem Gesicht ganz nahe. Sie sah ihn aufmerksam an, und einen Augenblick lang wurde ihr Blick unscharf. Ihre Wangen pulsierten in Hellbraun und Gold.
»Du liebe Güte«, sagte Mitch.
»Nimm die Maske ab«, erwiderte Kaye. »Jetzt haben wir uns wirklich etwas zu zeigen.«
90
Kumash County, im Osten des Staates Washington
»Nennen wir es doch SchöneNeueSpeziesParty«, sagte Wendell Packer, als er durch die Fliegentür trat und Kaye einen Rosenstrauß überreichte. Hinter ihm kam Oliver Merton mit einer Schachtel Pralinen und einem breiten Lächeln; er ließ seinen Blick prüfend durch den Wohnwagen
Weitere Kostenlose Bücher