Das Dekameron
und kurzweiligen Menschen kannte und daher wohl erriet, er fordere dies nur, um die Gesellschaft, wenn sie des ernsteren Redens müde wäre, mit einer lustigen Geschichte wieder aufzuheitern, gewährte sie ihm unter Zustimmung der übrigen gern die erbetene Gunst. Dann erhob sie sich von ihrem Sitze, und die Mädchen gingen langsamen Schrittes zu einem klaren Bach, dessen Wasser von einem Hügel zwischen Felsstücken und grünen Kräutern in ein von dichten Bäumen beschattetes Tal niederfloß. Hier plätscherten sie barfüßig und mit nackten Armen im Wasser umher und trieben allerlei Scherze. Als die Essenszeit nahte, kehrten sie zum Schlosse zurück und nahmen mit Behagen die Abendmahlzeit ein.
Nach Tisch ließ die Königin Musikinstrumente bringen und befahl, einen Tanz zu beginnen, den Lauretta anführen und Emilia, von des Dioneo Laute unterstützt, durch ein Lied begleiten sollte. Auf diesen Befehl hin begann Lauretta einen Tanz, während Emilia mit ihrer zum Herzen dringenden Stimme folgendes Lied sang:
Von meiner Schönheit bin ich so gefangen,
Daß neue Liebe nie
Mich locken wird mit anderem Verlangen.
Wenn ich in eignes Anschaun mich versenke,
Erblick ich, was dem Geiste Ruh verspricht,
Was neu sich zuträgt, wessen ich gedenke,
Beraubt mich so geliebter Wonne nicht.
So weiß ich denn, es schaut mein Angesicht
An fremden Reizen nie,
Was mir im Herzen zündete Verlangen.
Bin ich, um solcher Seligkeit zu pflegen,
Mein hohes Glück mir anzuschaun entbrannt,
So flieht es nicht und kommt mir selbst entgegen.
In Worte wird die Süße nicht gebannt,
Die es gewährt; es faßt sie der Verstand Sterblicher Wesen nie,
Entzündet sie nicht ähnliches Verlangen.
Ich fühle stündlich wachsend mich entbrennen,
Je mehr ich dorthin wende meinen Blick;
Drum weih ich mich nur ihm, will sein mich nennen.
Zwar kostet' ich erst das versprochne Glück;
Doch größre Lust ist, hoff ich, noch zurück,
So daß auf Erden nie
Empfunden ward so seliges Verlangen.
Dieses Tanzlied, in dessen Endreime alle fröhlich eingefallen waren, gab durch seinen Inhalt einigen aus der Gesellschaft viel zu denken. Als es indes geendet war und man noch einige andere Tänze hatte folgen lassen, war schon ein Teil der kurzen Nacht verstrichen. Deshalb gefiel es der Königin, den ersten Tag zu beschließen. Sie ließ die Fackeln anzünden und gebot einem jeden, sich bis auf den ändern Morgen zur Ruhe zu begeben. Alle gingen in ihre Gemächer und taten nach ihrem Befehle.
ES BEGINNT DER ZWEITE TAG DES DEKAMERON, AN WELCHEM UNTER DER HERRSCHAFT FILOMENAS VON MENSCHEN GESPROCHEN WIRD, DIE NACH DEM KAMPFE MIT MANCHERLEI UNGEMACH WIDER ALLES HOFFEN ZU FRÖHLICHEM ENDE GEDIEHEN SIND.
Schon hatte die Sonne mit ihren Strahlen überallhin den neuen Tag gebracht, und die Vögel gaben durch die fröhlichen Lieder, die sie auf den grünen Zweigen sangen, auch den Ohren davon Kunde, als die Mädchen alle und die drei Jünglinge sich von ihrem Lager erhoben, in den Garten gingen und sich geraume Zeit damit ergötzten, langsamen Schrittes im tauigen Grase umherzuwandeln und schöne Kränze zu winden. Und wie sie am vergangenen Tage getan hatten, so taten sie auch heute. Sie aßen noch in der Kühle zu Mittag und legten sich nach einigen Tänzen zur Ruhe. Von dieser erhoben sie sich in der vierten Nachmittagsstunde, kamen, dem Willen ihrer Königin gemäß, auf dem grünen Rasenplatze zusammen und setzten sich um sie her. Die Schönheit ihrer Gestalt und die Anmut ihrer Züge wurden durch den Lorbeerkranz, mit dem sie gekrönt war, noch erhöht. Sie schwieg einen Augenblick, faßte die ganze Gesellschaft ins Auge und befahl alsdann der Neifile, mit einer Geschichte den Anfang zu machen. Diese wich dem Antrag nicht aus und begann mit heiterer Stimme also zu reden:
Erste Geschichte
Martellino stellt sich lahm und gibt vor, durch den Leichnam des heiligen Heinrich geheilt zu werden. Sein Betrug wird entdeckt, er wird geprügelt und eingekerkert und schwebt in Gefahr, gehenkt zu werden, kommt aber endlich los.
Schon öfter hat es sich zugetragen, daß, wer über andere, besonders aber über sehr ehrwürdige Dinge spotten wollte, am Ende den Spott und zuweilen auch den Schaden für sich allein behielt. Um den Befehlen der Königin zu gehorchen und durch meine Geschichte die Lösung unserer Aufgabe zu beginnen, gedenke ich euch als Beispiel zu erzählen, wie einem unserer Mitbürger ein unglücklicher
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