Das Dekameron
ich, um dich zu prüfen, dich in so vielfacher Art, wie du weißt, gekränkt und verletzt habe. Weil ich aber niemals gesehen habe, daß du in Worten oder Taten dich von meinen Wünschen entfernt hättest, und weil ich überzeugt bin, daß ich durch dich das Glück erreichen kann, das ich begehrte, so gedenke ich dir auf einmal all das wiederzugeben, was ich dir einzeln zu vielen Malen raubte, und durch die höchsten Freuden die Wunden zu heilen, die ich dir zufügte. So empfange denn freudigen Herzens diese, die du für meine Braut hieltest, und ihren Bruder als deine und meine Kinder. Sie sind dieselben, welche du und viele andere seit langen Jahren grausam von mir ermordet wähnten, und ich bin dein Gemahl, der dich über alles liebt und glaubt, sich rühmen zu können, daß kein anderer lebt, der soviel Ursache hat, sich seiner Gattin zu freuen.«
Nach diesen Worten umarmte und küßte er sie, und während sie vor Freuden weinte, stand er mit ihr vom Tische auf und ging dorthin, wo die Tochter saß, ganz erstaunt über alles, was sie hörte. Zärtlich umarmten beide sowohl sie als auch ihren Bruder und klärten sie und alle ändern, die anwesend waren, über die Täuschung auf. Fröhlich erhoben sich die Damen von den Tischen und traten mit Griselda in ein Gemach, wo sie sie mit besserer Hoffnung entkleideten und ihr eines ihrer eigenen reichen Gewänder anlegten. Dann aber führten sie Griselda als die Edelfrau, als welche sie selbst in Lumpen erschienen war, in den Saal zurück. Hier freute sie sich ihrer Kinder unaussprechlich. Jeder andere war froh über dieses Ereignis, und Freude und Festlichkeit verdoppelten sich und währten noch mehrere Tage lang. Den Gualtieri aber hielt man von nun an für einen weisen Mann, wiewohl man die Proben, denen er seine Gattin unterworfen, für hart und unerträglich hielt. Vor allen aber ward Griselda für verständig gehalten.
Der Graf von Panago kehrte nach einigen Tagen heim nach Bologna, und Gualtieri nahm nun den Giannucole von seiner Arbeit hinweg und richtete ihn ein, wie es seinem Schwiegervater geziemte, so daß er geehrt und mit großer Freude lebte und sein Alter bei ihm beschloß. Später vermählte Gualtieri seine Tochter an einen Mann von hohem Stande und lebte lange und glücklich mit Griselda, die er stets in hohen Ehren hielt.
Was sollen wir hier nun anders sagen, als daß auch in die Hütten der Armen göttliche Genien vom Himmel niedersteigen, wie es in den Häusern der Könige solche gibt, die würdiger wären, Schweine zu hüten, als über Menschen zu herrschen? Wer außer Griselda hätte nicht nur mit trockenem, sondern auch mit heiterem Auge die rauhen, bis dahin unerhörten Proben zu bestehen vermocht, welchen Gualtieri sie unterwarf? Diesem aber wäre es vielleicht ein wohlverdienter Lohn gewesen, wenn er auf eine gestoßen wäre, die sich, als er sie im Hemd aus dem Hause jagte, von einem ändern ihr Pelzlein so hätte schütteln lassen, daß ihr ein schönes Kleid daraus erstanden wäre!
Die Erzählung des Dioneo war zu Ende, und viel hatten die Damen darüber gesprochen, hin und her, und die eine tadelte dies, während die andere damit Zusammenhängendes lobte. Da erhob der König den Blick zum Himmel, und wie er sah, daß die Sonne schon zur Abendstunde niedersank, begann er, ohne sich von seinem Sitz zu erheben, also:
»Wie ich glaube, wißt ihr, reizende Damen, daß die Weisheit der Sterblichen nicht allein darin besteht, sich des Vergangenen zu erinnern oder das Gegenwärtige zu erkennen, sondern, wie von den klügsten Männern für die größte Weisheit erachtet wird, aus dem einen und dem ändern das Zukünftige vorherzusehen. Wie ihr wißt, sind es morgen vierzehn Tage, daß wir Florenz verließen, um uns zur Erhaltung unserer Gesundheit und unseres Lebens einige Erheiterung zu gewähren und dem Trübsinn, dem Schmerz und der Angst zu entgehen, die man in unserer Vaterstadt, seitdem diese traurige Pestzeit begonnen, beständig vor Augen hat.
Dies haben wir nun, meinem Urteil nach, in allen Ehren getan. Denn, habe ich recht zu beobachten gewußt, so ist trotz all der lustigen und vielleicht die Sinnenlust anregenden Geschichten, trotz unseres beständigen guten Essens und Trinkens, trotz Spielens und Singens - welches doch alles Dinge sind, die schwache Gemüter vielleicht zu minder ehrbaren Betragen verlocken könnten - doch keine Gebärde, kein Wort, keine Handlung, weder von eurer noch von unserer Seite vorgekommen, die zu
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