Das Diamantenmädchen (German Edition)
Vortrag über die Reichsfinanzen brauchte sie jetzt nicht unbedingt. Oder versuchte er gerade, auf bizarre Weise mit ihr zu flirten?
»Herr von Schubert«, begann sie, aber er unterbrach sie lächelnd.
»Ich weiß, dass Sie das wahrscheinlich nicht sehr interessiert. Ich nehme an, Sie haben Ihr Auskommen. Die Berliner Illustrirte zahlt ganz gut, denke ich.«
»Wie Sie sagen«, gab Lilli reserviert zurück, »ich komme aus. An das Gehalt eines Staatssekretärs reicht es noch sehr lange nicht hin.«
Von Schubert lächelte wieder:
»Sie sind selbstverständlich eingeladen.«
Lilli reichte es jetzt eigentlich. Das war frech gewesen. Sie zog ihre Handtasche zu sich heran – die meisten ihrer Herrenbekanntschaften begriffen, dass das ein Signal zum Gehen war. Von Schubert blieb vergnügt und gelassen.
»Fräulein Kornfeld, bitte! Geben Sie mir eine Minute, ja?«
Lilli nickte. Der Staatssekretär wurde plötzlich ernst und beugte sich ein wenig vor. Das Revers seines Cuts streifte raschelnd über das gestärkte weiße Hemd.
»Die Reichsfinanzen«, sagte er, »werden von den Alliierten Jahr für Jahr kontrolliert. Wir zahlen solche ungeheuren Summen, dass wir manchmal nicht mehr wissen, wo wir noch sparen sollen. Wir können das Arbeitslosengeld kaum bezahlen, die Renten nicht und was weiß ich. Das Reich ist arm und wird jedes Jahr ärmer.«
»Na ja«, sagte Lilli nun wieder etwas interessierter, weil sie merkte, dass er auf etwas Bestimmtes hinauswollte, »wir haben einen Krieg verloren. Aber von meinem Reportergehalt kann ich wirklich nichts abgeben, falls die Regierung mich eben um einen Kredit bitten wollte.«
Von Schubert lachte.
»Ich mag Sie, Fräulein Kornfeld. Aber jetzt zur Sache. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir darauf kamen, aber bei dem Essen neulich haben Sie erwähnt, dass Sie einen Freund haben, der Diamantenschleifer ist.«
Lilli erinnerte sich. Ja. Sie hatten von Paul gesprochen.
»Diamantenschleifer war. Er arbeitet nur noch für sich. Seit dem Krieg nimmt er keine Aufträge mehr entgegen, soweit ich weiß.«
»Ja«, sagte von Schubert, und jetzt wurde seine Stimme sehr leise, »das ist genau das, was wir brauchen. Es hat sich vor Kurzem herausgestellt, dass die Regierung überraschend zu einer … nun ja, nicht unerheblichen Menge Diamanten kommen wird, die vor allem nicht im Reichshaushalt auftaucht. Das heißt …«
»Das heißt«, ergänzte Lilli, »dass es sich hier um Werte handelt, von denen die Alliierten nichts wissen. Ich habe verstanden. Und Sie brauchen jemanden, der die Diamanten zu Geld macht, nehme ich an. Das wird nichts. Ich sage Ihnen ja – mein Freund arbeitet schon seit Jahren nicht mehr für die Branche.«
Soviel sie von Freunden und ihrer Mutter wusste, arbeitete Paul höchstens manchmal als Gutachter, auf jeden Fall verkaufte er keine Steine, die er schliff. Von Schubert löffelte etwas Schlagsahne aus seiner Tasse.
»Wir brauchen keinen Verkäufer«, sagte er dann, »das ist kein Problem. Wir brauchen einen Diamantenschleifer.«
»Aber bitte!«, sagte Lilli, die sich einerseits geschmeichelt fühlte, weil von Schubert sie ins Vertrauen zog, andererseits dieses Gespräch einigermaßen seltsam fand. »Es muss doch im Reich genügend Diamantenschleifer geben, die …«
Von Schubert unterbrach sie.
»Fräulein Kornfeld, bitte glauben Sie doch nicht, dass ich das nicht alles schon überlegt hätte. Das hier ist kein gewöhnlicher Auftrag, und es gibt einige Details, die mich dahingehend bewegt haben, einen Schleifer zu suchen, der in der Branche weitgehend unbekannt ist. Alles, worum ich Sie bitte, ist, den Kontakt zu Ihrem Freund herzustellen. Das Weitere würde ich dann mit ihm persönlich besprechen.«
Er lächelte sehr charmant und leerte seine Tasse Schokolade in einem Zug.
»Ich kann Ihnen versprechen, dass Sie in Zukunft Presseinformationen durchaus auch mal vor den Kollegen erhalten, wenn Sie mir diesen kleinen Gefallen tun. Ja?«
Er legte den Kopf schief und sah für einen Augenblick aus wie ein treuherziger Dobermann. Lilli musste lächeln.
»Ich kann Ihnen nichts versprechen«, sagte sie, »er ist sehr … unzugänglich geworden.«
»Wie ich Sie verstanden habe«, antwortete von Schubert, während er aufstand und ihr galant in ihr Tweedjackett half, »sind Sie doch Freunde von Jugend auf. Und bei Ihrem Charme …«
Er ließ den Satz unvollendet. Vor dem Café reichte er ihr die Hand und verabschiedete sich eilig. Lilli sah ihm nach, als er –
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