Das Doppelspiel
Generalkommando, Abteilung A II. Stempel, Unterschrift.
Und damit gab es ab sofort keinen Major Plenjakow mehr. Was da in dem amerikanischen Trollybus hockte, in die Gegend blickte und aussah wie ein großer, kräftiger Arbeiter aus Texas, war im Moment ein Namenloser, Heimatloser, Unbekannter, der auf alle seine stillen Fragen sich selbst keine Antwort geben konnte.
Der Bus fuhr schwankend über eine Teerstraße. Links und rechts dehnte sich weites Weideland, ab und zu unterbrochen von einigen Windrädern, die Wasser aus der Tiefe in gemauerte Brunnen pumpten. Plenjakow drückte die Stirn gegen das Fensterglas und starrte auf das Land. Das ist nicht mehr Rußland, durchfuhr es ihn. Das ist Amerika, das ist ein Stück der Prärie, das ist genauso, wie wir es in unzähligen Lehrfilmen in Moskau, in Frunse, in Kasan und zuletzt in Ust-Katowskaja gesehen haben: Die riesigen Grasflächen des Westens, die ehemalige Heimat der Büffel, die Fleischkammer Amerikas.
Er zuckte unwillkürlich zusammen, als der Bus an einer Rinderherde vorbeiklapperte. Vier Cowboys auf mittelgroßen, gefleckten, schnellen Pferden schwenkten grüßend ihre breitkrempigen Hüte, gaben ihren Gäulen die Sporen und galoppierten neben der Straße her, schrien dem einsam im Bus hockenden Plenjakow etwas zu, was er nicht verstand, lachten dann schallend, blieben zurück und wendeten sich wieder ihrer Herde zu.
»Die Boys sind okay«, sagte der Busfahrer. Er trug nur Hose und Unterhemd und die obligatorische Mütze mit dem grünen langen Zelluloidschirm. Ein muskelbepackter, stiernackiger Kerl. Er sprach Plenjakow zum erstenmal an, und er sprach ein breites, zerknautschtes Amerikanisch wie ein Baumwollpflücker aus Alabama. »Ist'n guter Job! Frische Luft, Whisky und Weiber, 'ne Mischung, um sich die Hose durchzuwetzen …«
Plenjakow zog die Schultern hoch. »Wie heißt das hier?« fragte er auf russisch. Der Fahrer beobachtete ihn durch den langen, breiten Rückspiegel.
»Mister, Sie sprechen einen Dialekt, den kenn ich nicht.«
»Wie heißt du?« sagte Plenjakow schnell, aber er überlistete den Fahrer nicht.
»Was ist los?« fragte der bullige Kerl zurück.
»Ich möchte Ihren Namen wissen«, sagte Plenjakow auf englisch. Der Fahrer nickte zufrieden.
»Das versteht ein guter Christ. Ich heiße Jim Barkley. Gute Freunde dürfen mich Bully nennen. Suchen Sie Arbeit in der Stadt?«
»Es scheint so.« Plenjakow atmete tief durch. »Sagten Sie Stadt, Jim?«
»In fünf Minuten sind wir da. Ha, ich liebe diese Stadt! Sie werden sie auch lieben lernen, Mister. Übrigens: Morgen ist Football. Die Boys von West-Side gegen die von der East-Side. Das müssen Sie sehen, Mister! Harte Knaben sind das! So gebaut wie Sie!«
Die Landschaft wechselte plötzlich. Die Prärie hörte auf, dafür tauchten Bungalows auf, Gärten mit Swimming-pools, Tennisplätze, ein Sportstadion, an der Straße lag ein Motel, vor dem eine Menge amerikanischer Wagen parkten, eine Tankstelle der Standard-Oil mit einem Tankwart, der in einem Liegestuhl döste und auf Kundschaft wartete, und dann sah Plenjakow die ersten Mädchen, langbeinig, mit offenen flatternden Haaren, in hautengen Jeans oder noch engeren Hotpants, er sah Männer und Frauen in den Läden und Drugstores, in den Cafés und auf der Straße, durch die der Bus fuhr, und alles war so, wie er es aus amerikanischen Filmen kannte, nur noch intensiver, packender.
Weit hinten, wo sich die Straße senkte und auf einen großen Platz mit einem Denkmal mündete, sah er den Fluß, blauschimmernd in der Sonne, breit und träge, auf der anderen Seite mit seinen typischen ausgewaschenen Steilufern, die wie braune Borken aussahen. An diesen Ufern haben sie Blut gelassen, dachte Plenjakow. Die Deutschen und wir. Von 1941 bis 1944 herrschten hier die Nazis, und in den Höhlen in den Steilufern versteckten die Partisanen ihre Waffen.
Ist das wirklich wahr? Bin ich am Bug?
»Wie heißt der Fluß, Jim?« fragte er den Fahrer.
»Das ist der Silver River, Mister.«
»Silver River? Nicht der Bug?«
»Bug?« Der Fahrer sah Plenjakow durch den Rückspiegel an. »Nie gehört, Mister. Wo soll'n der sein?«
An dem großen Platz, nahe dem Silver River, lag das Stadthaus. An einer Fahnenstange hing das Sternenbanner, zwei Polizisten lümmelten sich vor dem Eingang und drehten den Kaugummi zwischen ihren Zähnen. Links war der Eingang zum Sheriff und zur Polizeistation, rechts gelangte man zum Finanzamt, in der Mitte, die große
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