0042 - Gift, Juwelen und wir
Evry Bender war ein erstaunlich gebildeter Mann von knapp achtundzwanzig Jahren, der gut aussah und aus einer guten Familie kam. Er hatte außer der Schule ein technisches College besucht, hatte ein Zwischendiplom als Ingenieur erworben und große, technische Geschicklichkeit bewiesen. Seine Professoren prophezeiten ihm eine glänzende Laufbahn.
Das alles hinderte Evry Bender nicht daran, ein Dieb zu werden. Da er ein vorzüglicher Mathematiker war, glaubte er ein Glücksspiel berechnen zu können. Er rechnete nicht gut genug und ruinierte sich. Daraufhin stahl er die Brieftasche eines Kameraden, wurde entdeckt und — ohne angezeigt zu werden — von der Hochschule gejagt.
Von diesem Augenblick an blieb Bender auf der einmal eingeschlagenen Bahn. Vom Diebstahl kam er zum Einbruch. Seinen geschickten Fingern und seiner technischen Intelligenz vermochte kaum ein Schloß zu widerstehen. — Die Polizei schnappte ihn durch einen — für Evry unglücklichen — Zufall bei seinem siebten Einbruch, der einem Juweliergeschäft galt. Der Richter verurteilte ihn zu der relativ milden Strafe von zwei Jahren, da Bender keines der anderen Einbrüche zu überführen war. Als Evry das Staatsgefängnis verließ, war er entschlossen, sich nie wieder fangen zu lassen, und trug seitdem bei seinen Unternehmungen eine Pistole bei sich. — Erst damit war er ernsthaft gefährlich geworden.
Evry dürchstöberte New York nach einer passenden Gelegenheit. Er hielt es für zweckmäßig, sich auf Juweliere zu spezialisieren. Er stieß auf Mr. James Allyson und sein Haus in der Ledge-Avenue 54.
James Allyson galt als einer der bevorzugten Juweliere der reichen Leute, obwohl er kein offenes Ladengeschäft unterhielt. Er hatte es nicht nötig. Es war selbst für Millionäre in gewisser Weise eine Ehre, von James Allyson bedient zu werden, und man brauchte eine Empfehlung oder einen sehr bekannten Namen, um von ihm empfangen zu werden.
Allysons Haus in der Ledge-Avenue war ein düsterer, weitläufiger Bau von nur drei Stockwerken. Er war um 1880 errichtet worden und paßte nicht mehr recht nach New York, mit seiner großen Freitreppe, seinen hohen, von altmodischen Gittern gesicherten Fenstern, seinem Vorgarten und der Mauer, die den Komplex umschloß. Er wirkte wie ein englisches, ungewöhnlich scheußliches Herrenhaus.
Normalerweise hätte sich Evry Bender an James Allysons Haus nie herangetraut. Er war zu intelligent, um sich nicht zu sagen, daß ein so einsam liegendes Gebäude, das einen so reichen Schatz an Juwelen beherbergte und auf Grund seiner Lage geradezu zu einem ungebetenen Besuch einlud, ungewöhnlich gesichert sein mußte. Aber ein besonderer Umstand brachte es mit sich, daß Evry Bender sich doch für diese Möglichkeit interessierte. An dem Haus in der Ledge-Avenue wurden umfangreiche Bauarbeiten vorgenommen. Bender erkannte, daß sich hier die Chance bot, im Schutze der Bauarbeiten, die ohnedies alles auf den Kopf stellten, tagsüber die Voraussetzungen für einen nächtlichen Besuch zu schaffen. Er suchte den Architekten auf und fragte nach einem Job.
Der Architekt musterte den kräftigen, jungen Mann mit Wohlgefallen.
»Könnte einen guten Mann noch brauchen«, äußerte er, »aber Sie müssen sich erst dem Bauherrn vorstellen. Mister Allyson wünscht, daß nur Männer an seinem Haus arbeiten, denen er die Erlaubnis erteilt hat. Bei seinem Beruf ist das verständlich.«
So fand noch am gleichen Tage Evry Benders erste Begegnung mit James Allyson statt, ünd sie endete für Evry mit einer beschämenden Enttäuschung.
Allyson, ein hagerer Mann von undefinierbarem Alter, der außer einem blütenweißen Oberhemd und einer grauen Krawatte, nur schwarze Kleidung trug, warf einen flüchtigen und doch scharfen Blick auf Bender und sagte mit blecherner Stimme:
»Ich wünsche nicht, daß dieser Mann an meinem Hause arbeitet.« Daraufhin wandte er sich um und setzte seine Inspizierung der Baustelle fort.
»Tut mir leid«, erklärte der Architekt. »Ich hätte Sie gern genommen.«
»Wollen Sie es nicht doch mit mir versuchen?« beharrte Evry. »Ich bin gelernter Maurer, und Sie müssen an diesem Bau viel mit Ziegelsteinen arbeiten. Es gibt nicht viele, die damit umzugehen wissen. Die meisten verstehen nur, den Beton zusammenzupantschen.«
Bender hatte einen Praktikerkursus für Maurer absolviert. Er verstand tatsächlich etwas davon.
»Es geht nicht«, erwiderte der Architekt. »Allyson entzieht mir den Auftrag, wenn er
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