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Das doppelte Rätsel

Das doppelte Rätsel

Titel: Das doppelte Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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unnachahmlichen Spatzen? Ihre Sache. Ich werde ihn nicht mehr erwähnen. Wir hatten damals auf der Mondstation so eine Art klassisches Freundespaar, das wie die meisten klassischen Freundespaare irgendwann den Spitznamen Kastor und Pollux erhalten hatte; keine bedeutenden Leute, durchaus nicht, Sie haben bestimmt nie von ihnen gehört. Kastor war Kopilot auf einer Frachtrakete, und Pollux arbeitete als Navigator auf dem Mond-Kosmodrom. Er arbeitete übrigens mittelmäßig. Ich meine damit nichts Schlechtes, Abwertendes. Ich meine nur, er war zuverlässig, aber ideenlos — ein Mann mit durchschnittlicher Begabung, ruhigem Temperament und einer gewissen Schwerfälligkeit im Denken. Ich vermute, er hätte selbst nicht zu sagen gewußt, wie er zu den Astronauten gekommen war; er wäre seinem Freund wohl auch in die Antarktis oder ins Innere der Erde gefolgt, falls dieser sich dafür entschieden hätte. Bei alledem war er aber kein schwächlicher oder sonstwie unangenehmer Typ; im Gegenteil, beide waren sympathisch und beliebt, und ihre Freundschaft war offen für jedermann — das sicherste Zeichen, daß sie nicht auf irgendeine Art seelischer Abhängigkeit gegründet war.
    Eines Tages — gerade als Pollux Dienst hatte — blieb die viertelstündliche PaN-Meldung von Kastors Rakete aus. Nun müssen Sie wissen, daß die damals übliche PaN-Meldung — Pilot an Navigator — nur eine ergänzende Funktion hatte. Die für die Navigation wichtige Funkverbindung war auch damals schon auf beiden Seiten automatisch und hielt die ganze Reise über an. PaN war nur eine zusätzliche Bestätigung, daß an Bord alles wohl war. Sie sollte — der Vorschrift nach — alle fünfzehn Minuten gegeben werden, aber wenn sie mal ausfiel, regte das niemand besonders auf. Pollux war zwar eine Minute lang etwas unruhig, aber da er den Dienstplan seines Freundes im Kopf hatte wie seinen eigenen und genau wußte, daß zu dieser Zeit Kastor das Raumschiff führte, behielt er die Sache erst einmal für sich. Er fragte auch nicht zurück, denn das wäre registriert worden — nun ja, Vorschrift ist Vorschrift, aber wer macht schon seinem Freund gern Ärger?
    Dann blieb aber auch die nächste PaN-Meldung aus, die nun schon wieder der erste Pilot hätte abgeben müssen. Pollux rief das Raumschiff, die Frachtrakete 17 war es, aber der Pilot meldete sich nicht. Da gab Pollux Alarm.
    Wenige Minuten später erschien der Kommandant des Mond-Kosmodroms in der Navigationszentrale. Ilja Fejnberg — ich erinnere mich gut an ihn — war ein untersetzter Mann Ende der Vierziger, ausgerüstet mit dem unvermeidlichen Bäuchlein, dem trotz aller Gymnastik kaum einer entgeht, der längere Zeit auf dem Mond arbeitet. Seine kleinen, listigen Augen paßten gut in das gemütliche, gefaltete Gesicht und unter die kugelrunde Glatze, seine etwas zu kurz geratenen Arme und Beine bewegten sich flink, und seine ganze Erscheinung erweckte den Eindruck, daß es für diesen Mann und unter der Leitung dieses Mannes keine unlösbaren Schwierigkeiten geben könne. Kommandant Fejnberg marschierte schnurstracks auf den Sitz am Navigationspult zu, vorbei an Pollux, der etwas beklommen seine Meldung erstattete.
    „Letzte PaN?“ fragte der Kommandant.
    Pollux schluckte. „Vor vierunddreißig Minuten.“
    „Ach?“ machte der Kommandant. Dann drückte er eine Taste und sprach ins Mikrophon: „Achtung, Havarierakete. Kommandant an Pilot. Havarieverdacht bei FR siebzehn. Sie nähern sich der Frachtrakete bis auf Sicherheitsabstand und gehen auf Parallelkurs. Nach Annäherung Meldung P an K über äußeren Zustand der FR siebzehn. Danach weitere Anweisungen. Ende.“
    „Verstanden. Kann ich starten?“
    Der Kommandant drückte einige Tasten am Navigationstisch und betrachtete die Armaturen. Dann fragte er: „Alle Funktionssysteme der Havarierakete überprüft?“
    „Überprüft!“ kam die Antwort.
    „Der Havarieeinsatz ist freiwillig. Ich möchte die Bereitschaftserklärung der Besatzungsmitglieder hören!“
    Aus dem Lautsprecher drangen nacheinander die Stimmen der Teilnehmer des freiwilligen Havariekommandos.
    „Ich bin bereit!“ sagte die ruhige, dunkle Stimme des Piloten Leif Johanson, der sonst als Testpilot in der Raketenausbesserungswerft arbeitete.
    „Ich bin bereit!“ Die Stimme Tom Harrars, des jungen zweiten Arztes, flackerte leicht.
    „Ich bin bereit.“ Lässig und mit dem Unterton einer Mißachtung, wie man sie überflüssigen Formalitäten erweist, sprach

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