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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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also könntest du sie hin und wieder selbst zum Singen anstiften, damit sie abgelenkt sind und nicht ihr Geld zurückverlangen. Nein, im Ernst, schick sie nach Hause, wenn sie ihre Erfrischungen bekommen haben. Apropos Erfrischungen: Das war vorhin kein Witz, als ich sagte, daß mein Hals ganz trocken ist. Du könntest dich nicht vielleicht anstellen und uns einen Becher Tee holen? Oder besser, eine ganze Kanne und genug Becher für uns alle?«
    Er blickte zum anderen Ende der Kapelle, wo die drei Wulfstans und Arne Krog am Flügel standen, an dem Inger Sandel noch immer saß. Wie ein Gesangsquartett, das auf seinen Einsatz wartet, dachte Pascoe.
    »Die sind fünf, wir vier, das macht neun«, rechnete Dalziel. »Wieldy, Sie sind haushaltserfahren. Gehn Sie dem Mädchen zur Hand.«
    Das Mädchen schenkte ihm ein untertäniges Lächeln, trat ihm fest, aber wirkungslos auf den Fuß und verließ in Wields Begleitung den Raum.
    Pascoe erhaschte ein kurzes zufriedenes Aufleuchten in Novellos Gesicht. Sie denkt, sie ist aus dem Schneider, weil sie nicht den Tee holen muß, vermutete er. Armes Kind. Sie hat schon viel gelernt. Aber bis sie nicht weiß, daß bei Dalziel Zufriedenheit ebenso unangebracht ist wie Gereiztheit, hat sie noch nicht genug gelernt.
    »Nun, laßt uns nicht ungesellig sein«, sagte der Dicke.
    Und strahlend wie ein Versicherungsvertreter, der gerade Rentenversicherungen auf der »Titanic« verkaufen will, machte er sich auf den Weg zu der kleinen Menschengruppe am Flügel.
    »Ach, wie nett!« rief er dort aus. »Familie und Freunde. Es wird uns bestimmt Zeit sparen, wenn ich mit Ihnen allen zusammen sprechen kann, aber wenn einer von Ihnen meint, das könnte peinlich werden, sagen Sie’s ruhig, dann nehm ich Sie mir einzeln vor.«
    Niemand sagte etwas.
    »Na, toll«, meinte Dalziel. »Also keine Geheimnisse. So sollte es bei Familien und Freunden auch sein. Machen wir es uns doch bequem, oder?«
    Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich mit solchem Schwung darauf, daß die Verbindungsstellen krachten und sich die Beine spreizten. Pascoe und Novello brachten Stühle für alle anderen und stellten sie im Halbkreis auf. Dann nahmen sie hinter Dalziel Platz, wie Diener bei einem Galaempfang.
    Elizabeth setzte sich als letzte. Während sie sich elegant auf den Stuhl drapierte, zog sie ihre blonde Perücke vom Kopf und warf sie lässig auf den Flügel. Sie landete zur Hälfte auf dem Rahmen, hing dort einen Moment und rutschte dann zu Boden wie ein beinloser Pekinese.
    Niemand bemerkte es. Alle Augen waren auf Elizabeth gerichtet, die mit beiden Händen ausgiebig ihren kahlen Kopf kratzte.
    »Verdammt heiß unter dem Ding«, sagte sie. »Ich glaub, ich schmeiß sie weg.«
    »’ne andere Farbe, hm?« schlug Dalziel vor.
    »Klar. Ich denke, meine Tage als Blondine sind gezählt.«
    Sie saß da wie ein Alien in einem Science-fiction-Film. Pascoe, der sie bislang als eine Frau von umwerfender Erscheinung, aber eisigem Charme erlebt hatte, war vollkommen verdutzt von der plötzlichen Vorstellung, diesen kahlen Kopf zwischen seine Schenkel zu ziehen. Sie bemerkte seinen Blick und lächelte, als wüßte sie genau, was er dachte. Hastig widmete er sich wieder dem Cover ihrer CD , die er noch immer in der Hand hielt.
    In diesem Augenblick kam Wield mit einem Tablett mit Teekanne, Tassen, Zucker, Milch und einem Teller voller Kekse.
    »Sieh mal an, da kommt Muttern«, sagte Dalziel. »Ist ’ne komische Sache. Wenn’s draußen heiß und man so richtig ausgedörrt ist, löscht nichts so gut den Durst wie ’ne schöne Tasse Tee.«
    Er sprach mit der Überzeugung eines Enthaltsamkeitspredigers. Pascoe beobachtete mit ergebenem Amüsement, wie der Dicke betont beflissen darauf achtete, daß die Damen ihren Tee serviert bekommen hatten, ehe er seine eigene Tasse mit abgespreiztem kleinen Finger an die Lippen hob. Entweder war er noch dabei, eine Strategie zu entwickeln, oder er spürte, daß eine Sache, die fünfzehn Jahre auf ihr Ende gewartet hatte, eine genüßliche Würdigung verdiente.
    Endlich war er bereit.
    Sein Eröffnungszug überraschte Pascoe, weil er damit sein vorheriges Angebot der getrennten Befragung wiederholte, nur diesmal gezielt und sehr ernst.
    »Mrs. Wulfstan«, sagte er freundlich, »dies könnte schmerzhaft für Sie werden. Falls Sie lieber später mit mir sprechen wollen, oder in Ihrem Haus …«
    »Nein«, entgegnete sie. »Ich habe mich an Schmerz gewöhnt.«
    Krog, der zu ihrer

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