Das dreizehnte Kapitel (German Edition)
festlicher Ober darauf, dass er uns die Riesling-Spätlese Sommerhäuser Steinbach einschenken konnte. Und es ging auch gleich los: Bachforelle mit Spinatschaumbrot, wildem Spargel, eingelegtem Blumenkohl und jungen Tomaten. Zum Glück war die Bundespräsidentenfrau die Tischdame des Herrn zu ihrer Linken. Dessen unverständlichen Namen sagte sie mir nach der Vorspeise herüber. Aber wichtiger als der Name war das Wort Nobelpreisträger. Für, sagte sie, ihren Tischherrn in die Vorstellung hereinnehmend, Physik. Und weil sie offenbar perfekt zu sein für nötig hielt, fügte sie dazu: Ultrapräzise Laserspektroskopie. Und rechts von Ihnen Frau Dr. Korbitzky, ihr Mann hat den Nobelpreis bekommen für die Quantenphysik ultrakalter Atome. Damit wolle sie’s vorerst bewenden lassen. Zum Wohl.
Jetzt tranken alle rund um den Tisch einander zu. Aber als die Bachforelle gegessen und Kraftbrühe vom Eifeler Rehbock mit Wildkräuter-Frischkäse-Grießnocken serviert war, vollendete sie ihr Vorstellungswerk. Sie wusste die Namen und Titel und Leistungen aller an diesem runden Tisch Sitzenden. Dass sie das wusste, zelebrierte sie. Ich vergaß diese heraldische Orgie, schon während sie stattfand. Dass die Dame links vom Tischherrn der Vorstellungsvirtuosin die Frau des heute hier zu Feiernden war, machte den Namen zur Botschaft: Frau Professor Dr. Maja Schneilin. Der Name ihres Tischherrn zerflog, aber dass er Hirnchirurg war, überlebte. Für die nächsten Namen und Titel und Professionen interessierte ich mich nicht, weil mich Frau Professor Maja Schneilins Anblick beschäftigte. Und wie das zusammenbringen! Sie lehrt. Und zwar Theologie. Das hatte die Vorstellerin so vorgetragen, dass die Tischrunde aufgefordert war, sich zu wundern. Mehr als bei Nobelpreisträger, Hirnforscher, Rechtshistoriker und sonstwas sollten wir staunen: Schaut diese Frau des heute Gefeierten an! Ich hätte diese Hervorhebung nicht gebraucht. Und gleich die Schwierigkeit: Diese Frau saß nicht gegenüber, saß nicht so, dass ich sie ohne Kopfverdrehen von selbst im Blickfeld hatte, sondern eben sehr schräg gegenüber. Wenn der Tisch eine Uhr war und die Frau des Bundespräsidenten war null Uhr, dann saß ich auf dreiundzwanzig Uhr, Frau Professor Schneilin aber höchstens auf halb zwei, ihr Hirnforscher auf zwei. Ich musste, um sie zu sehen, an der Bundespräsidentenfrau vorbeischauen. Und hätte doch ihre Vorstellungsprozedur durch Mitschwenken des Kopfes mit meinem mitschwenkenden Kopf begleiten sollen. Aber ich war hängengeblieben, gestrandet bei Frau Professor Schneilin. Als man bei dem in Rebenholz geräucherten Kalbstafelspitz mit Feldthymian-Trauben-Sauce, Spitzkohlgemüse und gefüllter Linda-Kartoffel mit Kaiserstühler Bauchspeck angelangt war und dazu den trockenen Spätburgunder von der Ahr trank und ich an der Bundespräsidentenfrau vorbei zu Frau Professor Schneilin hinübergeblickt hatte, ohne auch nur einen einzigen Antwortblick zu ernten, spürte ich, dass mein Gefühlsstau bald nicht mehr auszuhalten war.
Zum Glück war unsere Tischherrin jetzt fertig mit Vorstellen. Nachdem sie über meine Tischdame, Frau Dr. Schneiderhahn-Korbitzky, mitgeteilt hatte, dass die von Anfang an an den Forschungen ihres Mannes beteiligt gewesen sei, landete sie bei mir, da könne sie sich ja, weil ich so berühmt sei, langwierige Erklärungen sparen. Hier durfte ich, musste ich einhaken. Berühmt sei ich überhaupt nicht. Weil sie das für kokette Bescheidenheit hielt, konnte ich sagen, ich sei bekannt. Ja, bei dem Wort berühmt müsse man nicht wissen, warum berühmt. Berühmt sei etwas Absolutes. Wenn jemand bekannt sei, wisse jeder, dem er bekannt sei, warum.
Ich spürte, dass ich nicht ausführlich werden durfte. Rund um den Tisch saßen Menschen, die an allem interessiert sein konnten, nur nicht am Unterschied zwischen bekannt und berühmt. Da jetzt alle alle kannten, sollten jetzt alle auf alle trinken. Die Frau des Bundespräsidenten sagte noch, dieser Spätburgunder von der Ahr möge einander näher bringen, als der runde Tisch es könne. Wir tranken. Da ich vor dem Roten von dem fränkischen Weißen schon drei Gläser getrunken hatte und Weißwein mich immer zu allem Unmöglichen reizt, ja mich manchmal regelrecht aggressiv macht, musste ich nach dem Rotweintrunk sagen: Das Leben ist zu kurz, um deutsche Weine zu trinken. Das hatte ich hineingesagt in die winzige Stille, in der jeder noch dem Schluck, den er gerade genommen hatte,
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