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Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Titel: Das dreizehnte Kapitel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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sich hin. Und da das erst seit dem Bellevue-Abend so passiert, muss ich es auf Sie zurückführen. Sie sind daran nicht schuld. So wenig wie ein Orkan schuld ist, wenn er ein Haus in die Luft wirbelt. Dieses Haus war nicht fest genug gegründet. Ich mache mir natürlich Gedanken über das Naturereignis, das mich getroffen hat. Ich zähle auf, was geschehen ist.
    Ihre Erscheinung. Ihre Stimme. Ihr Gesicht. Ihr Kopf. Wie Sie Ihren Kopf tragen! So, als müssten Sie ihn andauernd präsentieren. Sie müssen sich dessen, dass Sie Ihren Kopf tragen, andauernd bewusst sein. Sie kennen Ihr Gesicht. Diese Gleichzeitigkeit zweier Zeiten. Eine Vierzehn- und eine Vierundvierzigjährige vollkommen vereint. Ihr Mund, diese Bereitschaft, mehr zu verschweigen als zu sagen. Und Ihre Haare. In Farbe und Form dieses Nein zu jeder Frisur. Und doch eine Haar-Sensation. Und Sie, als wüssten Sie alles. Und ganz genau so: als wüssten Sie nichts. Sie sind die raffinierteste Einfalt, die sich denken lässt. Und die unschuldigste Durchtriebenheit, die vorkommen kann. Und das oft. Und nicht durch mich durch wie eine Wetterfront ohne Folgen.
    Ich leerte die Schubladen und trug, was sich in Jahren zärtlich gesammelt hatte, hinaus. In den Container für Papier. Danach war mir einerseits feierlich zumute, andererseits elend. Ich kam mir schrecklich vor.
    Dass Sie Ihren Namen mit Titeln zugebaut haben, weiß ich zu schätzen. So, wie Sie sind, dürfen Sie doch nicht unter einem noch so schönen anderen Namen verschwinden. Sie sind selbst jemand. Dass Sie in einem anderen Namen verschwinden, passt nicht zu Ihnen! Sie sehen, ich werde kritisch. Sie werden Ihre Gründe haben. Der schönste Grund wäre: Sie sind eine geborene Schneilin. Sie sind überhaupt seine Schwester und leben im schönsten Inzest mit diesem Prachtsbruder. Er könnte sexuelle Probleme haben, sagt die Alltagspsychologie, weil er, statt einer Krawatte, eine Fliege trägt.
    Zu welch ordinär-abenteuerlichen Vermutungen reißen Sie mich hin!
    Bitte, glauben Sie nicht, ich wolle bei Ihnen die zierlichen Lachexplosionen produzieren, die Ihr Tischherr Hirnforscher bei Ihnen so lässig abrief, als wären Sie seine Versuchsperson, die er auf ihre Lachfähigkeit hin testen wolle. Bei der Frau, mit der ich verheiratet bin, seit drei Jahrzehnten, wäre ihm das nicht gelungen. Daran musste ich denken, als ich Sie ein ums andere Mal so silberhell auflachen sah und hörte. Zum Glück war Ihr Lachen immer sehr kurz. Wenn Sie sich vor Lachenmüssen gebogen hätten – daran will ich nicht denken. Wahrscheinlich wäre ich noch aggressiver geworden, als ich eben durch Ihre Lachbereitschaft schon war.
    Ich gestehe, Frau Professor – und ich ahne, dass ich durch dieses Geständnis jede Aussicht, Ihnen näher zu kommen, verwirke –, ich gestehe, dass ich einen Brief von Ihnen erwartet habe! Größenwahnsinnig bin ich nicht, aber eine gewisse Beobachtungs- und Wahrnehmungsfähigkeit ist mir eigen. Ihnen auch. Das sieht man, merkt man, spürt man, auch wenn man Sie nie näher als auf zweimeterfünfzig erlebt hat. Und weil ich Ihre Wahrnehmungsfähigkeit gespürt habe und doch erleben musste, dass Sie mich kein bisschen wahrgenommen haben, musste ich mich wundern. Ihnen muss aufgefallen sein, dass Sie und ich an diesem Tisch und wahrscheinlich im ganzen Saal etwas gemeinsam hatten. Die Bräune. Unter so vielen Bleichgesichtern waren wir die einzigen auffällig Braungebrannten. Und das hat nichts mit Solarium zu tun. Warum Sie so provozierend gesund aussehen, weiß ich nicht. Ihr Mann, bleich und blass wie alle anderen. Ich, gebräunt wie Sie. Bitte, diese Wahrnehmung ist nichts als eine Wahrnehmung. Ich verzichte auf alle Schlüsse daraus. Ein Privatdetektiv im Raum hätte gemeldet: Die zwei fliegen heimlich miteinander auf eine Insel. Sie wissen, sehr verehrte Frau Professor, dass ich diese Fernsehspielsätze nicht ernst meinen darf. Ich wollte ja nur mit meiner beruflich entwickelten Fähigkeit angeben.
    Übrigens, meine Frau hat ihren Namen, Iris Tobler, bei allem, was sie draußen oder für draußen tut, behalten. Angeblich hat sie das ihrem Vater versprochen. Vielleicht hat er wie alle Väter sein Kind für ein Genie gehalten und wollte durch seine Tochter berühmt werden. Iris schreibt Fernsehserien für Kinder. Sie hat den Haldenhof erfunden. Damit kann man vielleicht nicht bekannt werden. Sie hat es aber nicht aufgegeben, als Iris Tobler bekannt zu werden.
    Seit vielen Jahren schreibt sie an

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