Das dreizehnte Kapitel (German Edition)
Vierzehnjährige. Eine atemraubende Balance!
Mein andauerndes An-ihr-vorbei-Starren hielt die Frau des Bundespräsidenten hoffentlich für Interesse an den Laser-Storys, die ihr von links serviert wurden. Aber mir war es schon egal, was die Bundespräsidentenfrau oder die Welt über mich dachte. Diese Frau da drüben dachte nichts über mich, sie bemerkte mein Zu-ihr-hinüber-Starren überhaupt nicht, sie bestätigte mir durch keinen Antwortblick mein Dasein und Hinüberstarren, sie demonstrierte mir nichts als meine Nichtanwesenheit, und alles, was sie mir demonstrierte, ging auf in ihrem Namen: Maja.
Dann war es da vorne so weit: Der Bundespräsident begrüßte die Anwesenden und sagte, warum er alle, die da waren, eingeladen hatte, den 60. Geburtstag von Professor Dr. Korbinian Schneilin im Schloss Bellevue zu feiern. Seinen 50. Geburtstag habe Schneilin als Professor für Molekularbiologie an der Stanford-Universität in Kalifornien gefeiert. Da hatte er schon einen Aufstieg hinter sich, der begonnen hatte, als er als 28-Jähriger ausgezeichnet wurde mit dem John-Spangler-Nicholas-Preis für seine outstanding dissertation an der Yale-Universität. Dann ist ihm so gut wie alles an- und umgehängt worden, was in den USA und in Europa einem Naturwissenschaftler verehrt werden kann. Gerade war er noch zum Group Leader des European Molecular Biological Laboratory in Heidelberg ernannt worden, da beendete er seine akademische Karriere, die, wie die Kenner bezeugen, bald genug zum Nobelpreis hätte führen können, und gründete eine Firma. Und das in Adlershof, also hier vor den Toren Berlins, in unserem Silicon Valley. Er wollte, was er als Molekularbiologe erforscht hatte, in der Praxis erproben. Mir ist gesagt worden, es sei nicht mehr ungewöhnlich, vor allem in den USA, dass Naturwissenschaftler, wenn sie den Nobelpreis bekommen haben, eine Firma gründen, um ihre Forschungsergebnisse der Menschheit dienstbar zu machen. Korbinian Schneilin war ungeduldiger oder neugieriger und gründete seine Firma, bevor die Stockholmer so weit waren. Heute beschäftigt die Firma Transmitter 251 Mitarbeiter, davon 29 Akademiker. Und produziert werden Medikamente nach Maß. Und seine über einhundert Patente werden überall in der Welt genützt. Eine solche Lebensplanung müsse einen Politiker interessieren, müsse jeden interessieren, der sich dem Großenganzen verbunden fühlt. Und darum feiern wir heute gleichermaßen den Forscher und Unternehmer Korbinian Schneilin. Und wir, das sind Sie, meine Damen, meine Herren, von der Theologie bis zur Atomphysik, von der Bildhauerei bis zur Psycholinguistik. Und er bat den Gefeierten, uns jetzt, so gut es unsere Unbildung zulasse, sein Lebenskonzept ein wenig zu erklären.
Korbinian Schneilin wirkte leicht. Sehr leicht. Aufs Podest kam er mit einem Satz. Er war ein wenig größer als der Bundespräsident. Er fasste das Pult mit beiden Händen. Kein Manuskript. Und statt einer Krawatte eine Fliege. Ein Mann mit Fliege hat Sexualprobleme. So hat es vor dreißig Jahren der formuliert, der damals mein Chef war. Solche Sätze merkt man sich leider.
Und so fing der Gefeierte an: Zu sehen, was vor dir noch keiner gesehen hat, das sei, habe er im ersten Semester gehört, das Ziel aller Forschung. Seins sei es nie gewesen. Und, habe er gehört: Wer mehr als vier Stunden Schlaf brauche, komme für die Forschung nicht in Frage. Trotz solcher Signale zur Abhaltung sei er dabei geblieben. Er habe als Bub das Regenwasser vor dem Haus gestaut und habe dem Wasser etwas zu tun gegeben. Ein selbstgebasteltes Rad sollte es drehen, und an das Rad habe er einen kleinen Schöpflöffel angeschlossen, der das Wasser wieder zurückschöpfte in das gestaute Wasser, das dann wieder auf das Rad floss. Er hatte in der Schule etwas vom Perpetuum mobile gehört. Er gebe zu, dass er sehr anfällig sei, wenn er von einem Problem höre, das schwer lösbar sei. Wenn er in der Zeitung liest, dass die Kompaktlagerung der Brennelemente in einem Reaktor Probleme bereite, muss er für die dazu gebrauchten Borbleche eine Formung vorschlagen, die das Problem löst. Es gibt nichts, was ihn nicht zu einem Lernenden mache. Und seine Lieblingstugend: die Genauigkeit. Sein großes Vorbild: Bert Sakmann. Solange wir es nicht messen können, ist es müßig, darüber zu sprechen. Passion for Precision, so habe einer in Stockholm seine Dankrede überschrieben. Aber der Sinn der Genauigkeit: das Lernen. Was passiert in den
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