Das dreizehnte Kapitel (German Edition)
nachsann.
Jetzt also ein Durcheinander von Reaktionen. Die Frau des Bundespräsidenten rief die Herren aller am Tisch versammelten Fachrichtungen auf, Stellung zu nehmen zu dieser Aussage unseres Schriftstellers. Jeder antwortete mit dem facheigenen Vokabular, aber alle verurteilten meine Aussage rückhaltlos. Ich sagte dann: Mir darf auffallen, dass sich an dieser einhelligen Verurteilung eines schlichten Satzes nur Männer beteiligt haben.
Und sofort, von drüben, Frau Professor Schneilin: Das heißt nicht, dass Frauen Ihnen zustimmen. Für mich heißt es: Es gibt Sätze, über die können sich nur Männer streiten. Die Damen stimmten ihr heftig zu. Ich sagte: Ich fühle mich widerlegt, aber nicht bekehrt. Frau Professor Schneilin: Womit das Pseudoreligiöse dieses Satzes endlich offenbar ist. Und damit auch seine Inkompatibilität. Ich hob mein frisch gefülltes Glas Rotwein, sagte: Zum Wohl, und trank das Glas in einem Zug aus.
Das löste eine Art Heiterkeit aus. Bevor ich das leere Glas auf den Tisch stellte, sah ich über das Glas zu Frau Professor Schneilin hinüber. Aber sie lachte schon über etwas, was ihr der Hirnforscher noch schnell gesagt hatte – wahrscheinlich etwas Satirisches über oder gegen mich. Dieser Hirnforscher war ein schmaler Grauhaariger mit einem Vogelkopf. Der brachte seine Tischdame häufig zum Lachen und lachte selber kaum. Der erzählte ihr Zeug, lediglich dass sie lache. Der zündete ihr Lachen an, dann schaute er zu, wie sie lachte. Ich hätte mich jetzt endlich um Frau Dr. Schneiderhahn-Korbitzky, meine Tischdame, kümmern müssen. Ich hätte sie fragen müssen, wie das gewesen sei, als sie sich an den Forschungen ihres Mannes über kalte Atome beteiligt hatte. Tatsächlich hätte es mich wirklich interessiert zu erfahren, wie viel man von vorneherein weiß und will bei solchen Forschungen und wie viele Fragen dann erst das Forschen produziert. Aber ich musste hinüberschauen zu der vom Hirnforscher zum Lachen gebrachten Frau Professor Schneilin. Sie lachte lauter als jeder und jede andere am Tisch. Aber sie lachte nie lang. Zum Glück. Es war ein Auflachen, und Schluss. Dann musste der Hirnforscher schon wieder nachlegen. Aber das tat er offenbar gern. Im Augenblick war er sicher der Lebendigste am Tisch. Und war’s durch sie.
In mir war ein Selbstgespräch im Gang, das dieser Frau da drüben gewidmet war: Sie ist unverwechselbar. Alle Frauen der Welt sehen einander gleich. Die Frau des Bundespräsidenten war auch auf eine eigene Art zart und gefühlsbestimmt und hatte ein kleines Gesicht, nicht ohne Energielinien und Gemütsflächen, und sah doch allen anderen Frauen ähnlicher als dieser Frau Professor Schneilin. Ihr sah keine Frau gleich. Sie sah keiner Frau gleich. Ihr Gesicht war also einzigartig. Die Augen ein bisschen zu groß, die Nase ein bisschen zu deutlich, der Mund deutlich zu fest. Kein locker schwellender Lippenmund. Und doch ein Mund, der darauf zu warten schien, einem anderen Mund gewachsen zu sein. Eine vibrierende Bereitschaft war dieser Mund. Und blieb doch ganz bei sich. Die reine Kraft war dieser Mund. Eine grenzenlose Zuständigkeit. Wie der Mund reagieren würde – nicht sprechend, sondern als Erscheinung –, das würde bestimmen, ob diese Augen prüfend oder innig wirken würden, ob die Nase ein auf der Wiese grasendes Schaf oder ein Witterung aufnehmendes Raubtier war. Die Haare verstärkten, was dieses Gesicht, was diese Frau entscheiden würde. Für ihr Gesicht ist sie ja nur sehr indirekt verantwortlich, aber ganz und gar von ihr gewollt sind ihre Haare. Was sie an Farbe und Frisur bietet, könnte gewollter nicht sein. Farbe: Weißblond. Keine Spur von Blondseinwollen. Das kälteste Weißblond, das es geben kann. Ein Antiblond schlechthin. Und diese Haare glatt und gerade zurückgekämmt bis hinter die Ohren, an denen es flimmert und gleißt. Diese glatte, die Stirn noch höher machende Zurückgekämmtheit wirkt, als sei da eine Haarpracht gezähmt, eine Naturerscheinung besiegt worden. Schaf oder Raubtier? Auf jeden Fall ein unbesiegtes Kind. Sie hat noch das Mädchen im Gesicht. Das haben viele. Vielleicht alle. Auch wenn es dann ein zerstörtes, betrübtes, misshandeltes Mädchen ist. Sie hat ein ganz unzerstörtes Mädchen im Gesicht. Das bringt nur die Natur zu Stande, so viel auf einmal. Zu viel auf einmal. Das ist SIE. Die Vierundvierzigjährige war in diesem Gesicht, in dieser Erscheinung ganz genau so präsent wie die
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