Das dreizehnte Kapitel (German Edition)
Steigerung. Und so ist das Paradox des Lebendigen, dass einen diese Ekstase ergreift, wenn man am lebendigsten ist, und zwar so, dass man total vergisst, überhaupt zu leben. Diese Ekstase, diese Selbstvergessenheit des Lebens, greift nach dem Künstler, der gefangen ist, in sich und außer sich in einem Flammenteppich; sie ergreift den Soldaten, der heißläuft auf offenem Feld und sich dem Schützengraben verweigert; und sie traf Buck, als er das Rudel anführte, das Wolfsgeheul anstimmte, auf der Spur der noch lebenden Beute, die so schnell wie möglich durch das Mondlicht vor ihm flüchtete. Es klang aus den Tiefen seines Wesens und aus Teilen seines Wesens, die tiefer lagen als er selbst, die zurückreichten bis in den Schoß der Zeit. Beherrscht vom schieren Aufschäumen des Lebens, von der Flutwelle des Seins, dem vollkommenen Glück jedes einzelnen Muskels, jedes Gelenks und jeder Sehne – alles andere als tot, sondern glühend und wild, die pure Bewegung, fliegend frohlockend unter den Sternen über das Angesicht der toten Materie, die sich nicht rührte.
Aus: Jack London, Der Ruf der Wildnis. Aus dem Englischen übersetzt von Anna Meßmer.
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Über Martin Walser
Martin Walser, geboren 1927 in Wasserburg, lebt in Überlingen am Bodensee. Für sein literarisches Werk erhielt er zahlreiche Preise, darunter 1981 den Georg-Büchner-Preis und 1998 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Außerdem wurde er mit dem Orden «Pour le Mérite» ausgezeichnet und zum «Officier de l’Ordre des Arts et des Lettres» ernannt. Zuletzt erschienen von ihm der Roman Muttersohn und der Essay Über Rechtfertigung, eine Versuchung .
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Über dieses Buch
Die meisten leiden ohne Gewinn – so steht es im Roman Das dreizehnte Kapitel , der ebendiesen Satz widerlegen will. Mit einem Festessen im Schloss Bellevue fängt er an: Ein Mann sitzt am Tisch einer ihm unbekannten Frau und kann den Blick nicht von ihr lösen. Wenig später schreibt er ihr, und zwar so, dass sie antworten muss. Es kommt zu einem Briefwechsel, der von Mal zu Mal dringlicher, intensiver wird. Beide, der Schriftsteller und die Theologin, beteuern immer wieder, dass sie glücklich verheiratet sind. Aber sie gestehen auch, dass sie in dem, was sie einander schreiben, aus sich herausgehen können wie nirgends sonst und dass sie ihre Ehepartner verraten. Nur weil ihr Briefabenteuer so aussichtslos ist, darf es sein. An ein persönliches Treffen ist nicht zu denken. Die Buchstabenketten sind Hängebrücken über einem Abgrund namens Wirklichkeit.
Eines Tages teilt die Theologin mit, ihr Mann sei schwer erkrankt. Während sie auf einer Fahrradtour durch Kanadas Wildnis mit ihm noch einmal das Leben feiert, wartet der Schriftsteller auf Nachrichten. Als wieder eine eintrifft, wirft sie alles um.
Martin Walsers Roman über eine Liebe, die als Unmöglichkeit so tiefgründig und lebendig ist wie kaum etwas, kreist auf schwindelerregende Weise um das Wesen der menschlichen Existenz. Und führt dabei vor Augen, dass ein Lieben ohne Hoffnung auf Hoffnung das eigene Leben erst empfindbar macht. Ein bewegender, lebenskluger, ja aufregender Roman über eine Frau und einen Mann, die gerade durch die Unmöglichkeit ihrer Liebe zu einer noch nie erfahrenen Gefühlsheftigkeit gesteigert werden.
«Kaum einer vermag die Verwerfungen und Abgründe in den menschlichen Verhältnissen besser auszuloten als Martin Walser.» Volker Hage, Der Spiegel
«Seit einem halben Jahrhundert ist Martin Walser unser Gewährsmann für Liebe, Ehe, Glaube und deutsche Befindlichkeiten. Die Vermessung der Ausdruckswelt, des Daseins als Abfolge schwankender Empfindungen – das ist seine große Stärke.» Felicitas von Lovenberg, Frankfurter Allgemeine Zeitung
«Martin Walser schreibt nicht nur die schönsten Sätze, er stellt sie auch in anregende Horizonte.» Andreas Isenschmid, Neue Zürcher Zeitung
«Martin Walser ist einer der wichtigsten Schriftsteller, die wir haben. Sein Gedächtnis, seine Genauigkeit in der Betrachtung von menschlichen Verhältnissen und Unverhältnissen ist unerreicht, seine sprachliche Risikobereitschaft ist beispielhaft. Er geht in jeder Hinsicht aufs Ganze. Kurz, Martin Walser ist ein Dichter.» Frank Hertweck, SWR
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Impressum
Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, September 2012
Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei
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