Das dunkle Fenster (German Edition)
habe ich sie ihnen geschenkt.“
„Stellen Sie Ihre Kunst auch aus?“
Nicolá schüttelte den Kopf.
„Aber das sollten Sie tun“, sagte Azizah. „Ihre Bilder würden sich bestimmt gut verkaufen.“ Der Mann verzog den Mund zu einem flüchtigen Lächeln. Azizah fragte sich, was wirklich in seinem Kopf vorging. Nach der unfreundlichen Begrüßung behandelte er sie nun sehr höflich, beantwortete ihre Fragen und stellte selbst welche. Dennoch hatte sie das Gefühl, dass ihr etwas entging. „Was tun Sie denn beruflich, wenn Sie nicht malen?“, setzte sie nach.
Das Lächeln auf seinem Gesicht vertiefte sich, erreichte aber nicht die Augen. „Früher hatte ich eine Firma, die Datenbanken entwickelte. Ich habe sie verkauft.“
„Oh.“ Azizah hob die Augenbrauen. „In Beirut?“
„Nein, Marseilles.“
„In Frankreich?“
Er nickte.
„Und jetzt haben Sie sich ... zur Ruhe gesetzt?“, fragte Azizah. Sie versuchte nicht, ihre Verwunderung zu verbergen. Der Mann, der ihr gegenüber saß, war höchstens Ende Dreißig.
„Ich würde es eher eine schöpferische Pause nennen.“
„Jetzt reden Sie doch wieder wie ein Künstler.“
Ein leises Lachen. „Wenn Sie meinen.“ Er beugte sich vor, um ihr Tee nachzuschenken.
Azizah beobachtete, wie er die Silberkanne zurück auf den Tisch stellte. Erneut glitt ihr Blick über seinen vernarbten Handrücken. Er hatte schlanke, kräftige Finger wie ein Pianist. Sein Arabisch war flüssig mit einem Beiruter Akzent, dennoch sah er nicht wie ein Levantiner aus.
„Haben Sie französische Vorfahren?“, fragte sie.
„Oui.“ Er grinste und zum ersten Mal wirkte er charmant.
Irgendwo entfernt klapperte eine Tür. „Nicolá!“, rief jemand von der anderen Seite des Hauses. „Nicolá, bist du da?“
Kurz glitt Verärgerung über sein Gesicht. Er stand auf. „Tut mir leid“, sagte er. „Ich komme gleich wieder.“
Azizah trank ihren Tee aus. Nicolá Martin kam nicht zurück. Sie griff nach der Teekanne, dann stellte sie fest, dass sie leer war. Leise stand sie auf und ging in die Küche, um frisches Wasser aufzusetzen. Die Haustür klaffte auf; Azizah warf einen Blick hinaus, konnte aber niemanden entdecken.
„Nicolá?“, fragte sie halblaut.
Das Wasser auf dem Herd begann leise zu zischen. Vom Flur führte eine zweite Tür zu den restlichen Zimmern des Hauses. Azizah schob sie ein Stück auf. Auf der anderen Seite befand sich ein großer Raum, ausgestattet mit einem niedrigen Sofa und Sitzkissen aus Wolle. Sisalmatten bedeckten den Boden.
Zwei weitere Türen führten in angrenzende Räume, eine davon stand halb offen. Azizah erhaschte einen Blick in eine Art Atelier. Vor der Wand stand eine Staffelei, dahinter ein Stapel Leinwände; mehr war nicht zu erkennen.
Sie hatte ein schlechtes Gewissen, aber ihre Neugierde war stärker.
„Nicolá?“, rief sie noch einmal.
Im Grunde war es seine Schuld, wenn er seine Gäste einfach sich selbst überließ. Sie machte ein paar Schritte in das Wohnzimmer hinein und zog die Tür vollends auf.
Das Atelier war ein quadratischer Raum mit großen Fenstern. Auf der Staffelei ruhte eine grundierte Leinwand, daneben stand ein Rollcontainer voller Pinsel, Paletten und Farbtuben. Die andere Seite des Zimmers erinnerte an das überfüllte Lager eines Galeristen. Tücher verhüllten die Gemälde. Ganz hinten lag ein Stoß zusammengerollter Leinwände, in Schutzfolie verpackt. Azizah lüftete die Abdeckung des Stapels direkt neben der Tür und warf einen Blick auf das erste Bild. Sie brauchte einen Moment, um das Motiv zu erfassen, eine verschachtelte Anordnung geometrischer Formen, verwoben mit Elementen arabischer Kalligrafie. So etwas hatte sie schon einmal gesehen.
Von draußen hörte sie plötzlich Männerstimmen, Fetzen einer Unterhaltung. Erschrocken zerrte sie das Laken zurück. Dann floh sie aus dem Zimmer. Im Flur schob sie die Tür hinter sich zu, bemüht, kein Geräusch zu machen. Das Wasser in der Küche kochte sprudelnd. Azizah nahm es vom Herd und griff nach der Teedose im Regal.
Nicolá betrat den Raum. Sie drehte den Kopf und lächelte ihn an. Es war eine bemühte Geste. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie es noch im Hals zu spüren glaubte, aber er bemerkte ihre Nervosität offenbar nicht.
„Entschuldigen Sie“, sagte er und trat einen Schritt näher. „Ein Freund. Er hat extra einen weiten Weg gemacht, um mir etwas zu zeigen.“
Azizah füllte das Teewasser in die Kanne. „Das macht nichts“,
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