Das Dunkle Muster
locken, ihn einschließen und den Schlüssel wegwerfen sollte.
Rohrig hielt sie zwar für verrückt, aber sie brachte es fertig, ihn zu begeistern. Außerdem war er sich nicht sicher, ob der Schlüssel zu den Rätseln dieser Welt nicht doch am Ende des Flusses zu finden war.
Es war bekannt, daß es bis jetzt noch niemand gewagt hatte, eine Reise in das nördlich von ihnen liegende nebelverhangene Land zu machen. Wenn er sich der elfköpfigen Gruppe Agathas anschloß, würde er zu den ersten zählen, die den Nordpol erreichten, und wenn er sich anstrengte, konnte er sogar der allererste werden. Er brauchte nur, wenn ihr Ziel in Sichtweite kam, vorauszueilen und am Nordpol eine Statue aus Stein aufzustellen, in die sein Name eingraviert war.
Und von diesem Tage an würde jeder, der sich aufmachte, um den Pol zu bezwingen, erfahren müssen, daß Robert F. Rohrig ihn bereits geschlagen hatte. Ein Handikap war, daß Agatha sich weigern würde, ihn mitzunehmen, solange er nicht an ihren Herrn und dessen Heiliges Buch glaubte. Es fiel ihm nicht leicht, sie anzulügen, aber irgendwie hatte Rohrig die Vorstellung, daß er die Frau ja nicht wirklich hinterging. Immerhin glaubte er ja irgendwie tief in seiner Seele doch an einen Gott – nur war er sich nicht sicher, ob dessen Name Jehova oder Rohrig war. Und was die Bibel anging, so war sie ein Buch, und schließlich sagten alle Bücher die Wahrheit in dem Sinne, daß ihre Autoren glaubten, sie hätten ihren Lesern eine Art Wahrheit mitzuteilen.
Noch bevor die Expedition das Ende der Gralsteine erreichte, waren fünf der Teilnehmer schon wieder umgekehrt. Als sie an die gewaltige Höhle kamen, aus der der Fluß hervorschoß, gelangten vier weitere zu der Ansicht, daß sie, wenn sie noch weiter gingen, des Hungers sterben müßten. Und so blieben nur noch Rohrig, Agatha Croomes und Winglat, ein Indianer, dessen Volk irgendwann in der Steinzeit von Sibirien nach Alaska gewandert war, übrig. Rohrig wäre am liebsten auch umgekehrt, aber wollte sich nicht eingestehen, daß eine verrückte schwarze Frau und ein paläolithischer Wilder mehr Schneid besaßen als er.
Darüber hinaus begann er tatsächlich allmählich zu glauben, daß Agatha wirklich eine Vision gehabt hatte. Vielleicht warteten der allmächtige Gott und Jesus auch auf ihn?
Er hatte plötzlich die Überzeugung, er dürfe sie keinesfalls warten lassen.
Nachdem sie über den Felsensims in die Höhle hineingekrochen waren, rutschte Wiglat aus und versank im Fluß. Das ernüchterte Rohrig, und er begann sich darüber klarzuwerden, daß er auf dem besten Wege war, ebenso verrückt zu werden wie Agatha. Dennoch ging er weiter.
Als sie den Ort erreichten, an dem sich der Sims hinabsenkte und in der Tiefe verlor, hörten sie in der den See bedeckenden Nebelbank entfernte Geräusche. Aber der Hunger hatte sie bereits stark geschwächt. Es gab jetzt kein Zurück mehr. Agatha war fest davon überzeugt, daß sie sich in unmittelbarer Nähe von etwas Eßbarem befanden. Wenn sie es nicht fanden, würden sie den Tag nicht überleben. Woher sie das so genau wußte? Sie hatte wieder eine Vision gehabt, nachts, im Schlaf, als sie auf dem Sims eine Rast eingelegt hatten. Sie hatte einen Ort gesehen, an dem es Gemüse und Fleisch im Überfluß gab.
Rohrig sah, wie sie von ihm wegkroch, und folgte ihr eine Weile später nach. Er ließ seinen Gral zurück, weil er glaubte, ihn nicht mehr tragen zu können. Wenn er überlebte, konnte er immer noch zurückkehren und ihn holen. Die kleine Statue, die er am Nordpol hatte aufstellen wollen, befand sich im Innern des Grals, und ein paar Sekunden lang spielte er mit dem Gedanken, sie herauszuholen und mitzunehmen. Zum Teufel damit, dachte er dann und kletterte weiter in die Tiefe hinab.
Aber er schaffte es nie. Die Schwäche machte ihn fertig. Weder seine Beine noch seine Arme wollten seinem Willen noch gehorchen.
Bevor es dazu kam, daß er verhungerte, machte der Durst seinem Leben ein Ende. Es war grausam zu wissen, daß der Fluß direkt an ihm vorbeirauschte und er ihn nicht erreichen konnte, weil er kein Seil besaß, um sich zu ihm hinunterzulassen. Der See donnerte gegen den Fuß der Felsenklippen, und er kam einfach nicht an ihn heran.
Coleridge würde das zu schätzen wissen, dachte er. Ich wünschte, ich könnte das auch.
»Jetzt werde ich niemals die Antworten auf meine Fragen erhalten«, murmelte er. »Vielleicht ist das auch besser so. Ich weiß nicht einmal, ob sie mir
Weitere Kostenlose Bücher