Das Echo aller Furcht
er selbst von seinen felsigen Feldern geschleppt hatte, und wollte nur eines: in Frieden leben. Das durfte doch nicht zuviel verlangt sein, hatte er sich einmal gesagt, aber er war in sechsundsechzig bewegten Jahren immer wieder enttäuscht worden. Er hatte seinen Gott um Gnade angefleht und um ein paar kleine Bequemlichkeiten – auf Reichtum hatte er nie gehofft –, um seiner Frau und ihm das Los ein wenig zu erleichtern. Aber immer vergebens. Von den fünf Kindern, die ihm seine Frau geboren hatte, waren vier in der Kindheit gestorben, und der einzige überlebende Sohn war 1973 von der syrischen Armee eingezogen worden – gerade rechtzeitig, um am Krieg teilzunehmen. Immerhin hatte sein Sohn mehr Glück gehabt als der Rest der Familie: Als eine israelische Granate seinen Schützenpanzer BTR-60 traf, wurde er hinausgeschleudert und verlor nur ein Auge und eine Hand. Nun war er zwar halbblind und verkrüppelt, hatte aber geheiratet, Enkel gezeugt und genoß als Kaufmann und Geldverleiher bescheidenen Erfolg. Angesichts seines Schicksals kein großer Segen, aber für den alten Bauern war es die einzige Freude, die er im Leben gehabt hatte.
Der Druse baute Gemüse an und ließ seine Schafe und Ziegen auf einem steinigen Feld nahe der syrisch-libanesischen Grenze weiden. Standhaft konnte man ihn nicht nennen, und auch kaum beharrlich; selbst sein Wille zum Überleben war schwach. Für den alten Bauern war das Leben nur eine Gewohnheit, die er nicht ablegen konnte, eine endlose Folge von Tagen, derer er immer überdrüssiger wurde. Wenn im Frühjahr die Lämmer geboren wurden, wünschte er sich insgeheim, er möge den Tag ihrer Schlachtung nicht mehr erleben – andererseits aber störte ihn die Vorstellung, daß diese dummen und sanftmütigen Tiere ihn überleben könnten.
Wieder brach ein Tag an. Der Bauer besaß keinen Wecker und brauchte ihn auch nicht. Wenn der Himmel hell wurde, begannen die Glocken seiner Schafe und Ziegen zu bimmeln. Er schlug die Augen auf und spürte sofort die Schmerzen in seinen Gliedern. Er reckte sich und stand langsam auf. Nach wenigen Minuten war er gewaschen und hatte sich die grauen Stoppeln vom Gesicht geschabt, dann frühstückte er hartes Brot und starken, süßen Kaffee, und der Arbeitstag begann. Um seinen Gemüsegarten kümmerte sich der Bauer früh am Morgen noch vor der Hitze des Tages. Er hatte einen recht großen Garten, weil er den Überschuß auf dem Markt verkaufte und sich so die wenigen Dinge finanzierte, die ihm als Luxus galten. Selbst das war ein Kampf. Die Arbeit quälte seine arthritischen Gelenke, und es war eine Plage, seine Tiere von den zarten Trieben fernzuhalten. Andererseits konnte er die Schafe und Ziegen verkaufen, und den Erlös, den er dafür bekam, brauchte er bitter nötig, um nicht hungern zu müssen. In Wirklichkeit aber schaffte er sich im Schweiße seines Angesichts ein annehmbares Auskommen und hatte, weil er allein lebte, mehr als genug zu essen. Die Einsamkeit hatte ihn geizig gemacht; selbst seine Gartengeräte waren alt. Die Sonne stand noch tief, als er bedächtig auf sein Feld stapfte, um das Unkraut zu jäten, das täglich aufs neue zwischen den Reihen hochschoß. Ach, wenn man doch bloß eine Ziege dressieren könnte, wünschte er sich insgeheim wie sein Vater und sein Großvater vor ihm. Wäre es nicht herrlich, wenn eine Ziege nur das Unkraut fräße und das Gemüse unversehrt ließe? Aber Ziegen waren strohdumm und bewiesen Intelligenz nur, wenn es darum ging, Unheil zu stiften. Wie immer begann er in derselben Ecke des Gartens, hob die breite, schwere Tschappa, hackte sie in den Boden und riß das Unkraut heraus. Angesichts seines Alters und seiner Gebrechlichkeit arbeitete er sich mit einem erstaunlichen Tempo durch die Reihen vor.
Klack.
Was war das? Der Bauer richtete sich auf und wischte sich den Schweiß ab. Die Hälfte der Morgenarbeit war getan, und er freute sich langsam auf die Ruhepause, die mit dem Versorgen der Schafe einherging. Hm, ein Stein war das nicht. Er schob mit der Breithacke die Erde zur Seite... ach so, dieses Ding.
Man findet den Prozeß oft erstaunlich. Schon seit den Anfängen der Landwirtschaft reißen die Bauern auf der ganzen Welt Witze über Felder, auf denen Steine wachsen. Überall bestätigen Feldsteinmauern am Weg diesen nur an der Oberfläche mysteriösen Prozeß. Schuld ist Wasser, das als Regen fällt, im Boden versickert, im Winter gefriert, sich dabei ausdehnt, und zwar nach oben.
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