Das Echo der Traeume
gebracht hatte, musste ihn hereingelassen haben. Aber möglicherweise auch nicht: Ich suchte mit Blicken das Zimmer ab, ohne irgendwo Handtücher entdecken zu können.
Er antwortete nicht auf meine Frage. Ebenso wenig kam eine Entschuldigung über seine Lippen, er rechtfertigte sich nicht einmal für die Unverschämtheit, in mein Zimmer eingedrungen zu sein.
» Triff dich nicht mehr mit Manuel da Silva, Sira. Halt dich von ihm fern. Ich bin nur gekommen, um dir das zu raten.«
Seine Stimme klang überzeugend. Er stand da, den linken Arm auf die Rückenlehne eines Sessels in einer Ecke gestützt. Weißes Hemd, grauer Anzug, wirkte er weder angespannt noch entspannt: nur sachlich. So, als hätte er eine Verpflichtung und den eisernen Willen, sich dieser auch zu stellen.
Ich konnte nichts entgegnen: Kein Wort kam über meine Lippen.
» Ich weiß nicht, welcher Art deine Beziehungen zu ihm sind«, fuhr er fort. » Aber noch hast du Zeit, dich nicht weiter da hineinziehen zu lassen. Geh fort von hier, geh zurück nach Marokko …«
» Ich lebe jetzt in Madrid«, brachte ich schließlich heraus. Ich stand noch immer auf dem Teppich, bewegungsunfähig, barfuß, ohne zu wissen, was ich tun sollte. Mir fielen Rosalindas Worte von heute Morgen ein: dass ich mit Marcus vorsichtig sein sollte, da ich nicht wusste, in welchen Kreisen er sich bewegte und was für Geschäfte er machte. Ein Schauder lief mir über den Rücken. Auch jetzt wusste ich es nicht, hatte es vielleicht nie gewusst. Ich wartete darauf, dass er weitersprach, um abschätzen zu können, wie weit ich mich ihm öffnen durfte und wie sehr ich auf der Hut sein musste. Bis zu welchem Punkt ich die Sira herauslassen sollte, die er kannte, und inwieweit ich mich an die Rolle der unzugänglichen Arish Agoriuq halten musste.
Er ließ den Sessel los und kam ein paar Schritte auf mich zu. Sein Gesicht war wie früher, seine Augen auch. Der gelenkige Körper, der Haaransatz, die Hautfarbe, die Kinnlinie. Die Schultern, die Arme, an die ich mich so oft geklammert hatte, die Hände, die meine Finger gehalten hatten, die Stimme. Alles war mir plötzlich so nah. Und gleichzeitig so fern.
» Also, geh so schnell wie möglich weg von hier. Triff ihn nicht noch einmal«, beharrte er. » So einen Typen hast du nicht verdient. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, warum du deinen Namen geändert hast, auch nicht, wozu du in Lissabon bist, und genauso wenig, was dich dazu gebracht hat, dich ihm zu nähern. Mir ist auch schleierhaft, ob eure Beziehung von sich aus entstanden ist oder ob jemand dich in diese Geschichte hineinmanövriert hat, aber ich versichere dir …«
» Zwischen uns ist nichts Ernstes. Ich bin nach Portugal gekommen, um für mein Modeatelier einzukaufen. Jemand, den ich in Madrid kenne, hat mir den Kontakt vermittelt, und wir haben uns ein paar Mal getroffen. Ich bin bloß mit ihm befreundet.«
» Nein, Sira, täusch dich nicht«, unterbrach er mich mit schneidender Stimme. » Manuel da Silva hat keine Freunde. Er hat Eroberungen, er hat Bekannte und Leute, die ihm schöntun, und er hat nützliche berufliche Kontakte, mehr nicht. Und in letzter Zeit waren diese Kontakte nicht gerade angemessen. Er gerät immer mehr in zwielichtige Angelegenheiten. An jedem Tag, der ins Land geht, erfährt man neue Sachen, und du solltest dich aus alledem heraushalten. Dieser Mann ist nichts für dich.«
» Dann ist er für dich auch nichts. Aber an dem Abend im Casino sah es so aus, als wärt ihr gute Freunde …«
» Wir beide sind ausschließlich aus geschäftlichen Gründen aneinander interessiert. Besser gesagt, wir waren es. Inzwischen ist mir zu Ohren gekommen, dass er nichts mehr von mir wissen will. Weder von mir noch von irgendeinem anderen Engländer.«
Ich seufzte erleichtert, denn seinen Worten entnahm ich, dass Rosalinda ihn hatte aufspüren können und dass jemand ihm meine Nachricht übermittelt hatte. Noch immer standen wir einander gegenüber, aber der Abstand zwischen uns war kleiner geworden, ohne dass wir es gemerkt hätten. Ein Schritt nach vorn von ihm, einer von mir. Noch einer von ihm, noch einer von mir. Zu Beginn unseres Gesprächs hatte jeder von uns in einer entgegengesetzten Ecke des Zimmers gestanden, wie zwei argwöhnische Kämpfer, die voreinander auf der Hut sind und von denen jeder die Reaktion des anderen fürchtet. Im Laufe der Minuten hatten wir uns, unbewusst vielleicht, aufeinander zubewegt, bis wir mitten im Zimmer standen,
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