Das Echo der Traeume
Gegenwart. Und es musste jetzt etwas geschehen.
» Du musst mir helfen, ihn zu finden«, beharrte ich und wischte allen Argwohn beiseite. » Da Silvas Leute sind bereits auf ihn angesetzt, zumindest muss man Marcus warnen; er wird dann schon wissen, was zu tun ist.«
» Natürlich werde ich versuchen, ihn ausfindig zu machen, my dear, sei unbesorgt. Aber ich will dich auch bitten, vorsichtig zu sein und zu bedenken, dass jeder von uns sich sehr verändert hat, dass keiner von uns heute noch der ist, der er einst war. Im Tetuán von vor einigen Jahren warst du eine junge Damenschneiderin und ich die glückliche Geliebte eines mächtigen Mannes; jetzt schau dir an, was aus uns geworden ist, sieh dir an, wo wir heute stehen und unter welchen Umständen wir uns treffen müssen. Marcus und seine Lebensbedingungen haben sich bestimmt auch verändert: Das ist das Gesetz des Lebens, in Zeiten wie den unseren erst recht. Und wenn wir damals schon wenig über ihn wussten, so wissen wir heute noch weniger.«
» Er macht jetzt Geschäfte, das hat mir da Silva selbst erzählt.«
Sie nahm meine Erklärung mit einem ironischen Lächeln auf.
» Sei nicht naiv, Sira. Das Wort › Geschäfte‹ ist heutzutage eine Art riesiger schwarzer Regenschirm, unter dem sich alles Mögliche verbergen kann.«
» Willst du mir sagen, dass ich ihm nicht helfen soll?«, fragte ich, bemüht, mir meine Verwirrung nicht anmerken zu lassen.
» Nein. Ich rate dir lediglich, sehr vorsichtig zu sein und nicht übermäßig viel zu riskieren, weil du weder mit Sicherheit weißt, wer der Mann ist, den du zu schützen versuchst, noch, in was er verwickelt ist. Seltsam, wie das Leben spielt, nicht wahr?«, fuhr sie mit einem halben Lächeln fort und strich sich wie früher eine blonde Haarwelle aus dem Gesicht. » In Tetuán war er verrückt nach dir, und du hast dich trotz der starken Anziehung zwischen euch nicht ganz auf ihn eingelassen. Und jetzt, nach der ganzen langen Zeit, riskierst du aufzufliegen, setzt deine Mission und wer weiß was noch aufs Spiel, um ihn zu retten. Und das Ganze in einem Land, in dem du allein bist und fast niemanden kennst. Ich verstehe heute noch nicht, warum du damals mit Marcus nichts Ernsthaftes angefangen hast, aber er muss einen sehr starken Eindruck bei dir hinterlassen haben, wenn du dich seinetwegen derart in Gefahr bringst.«
» Ich habe es dir schon hundertmal erzählt. Ich wollte keine neue Beziehung, weil die Geschichte mit Ramiro noch frisch war und meine Wunden erst verheilen mussten.«
» Aber es war doch schon eine Weile her …«
» Nicht lang genug. Ich hatte panische Angst davor, wieder leiden zu müssen, Rosalinda, so eine Riesenangst … Das mit Ramiro hat so wehgetan, mich bis ins Mark getroffen, es war so … so … furchtbar schrecklich … Ich wusste, dass auch Marcus früher oder später gehen würde, und ich wollte das alles nicht noch einmal durchmachen.«
» Aber er hätte dich nicht auf die gleiche Weise verlassen. Früher oder später wäre er zurückgekommen, oder du hättest vielleicht mit ihm gehen können …«
» Nein. Tetuán war nicht sein Ort, jedoch sehr wohl der meine: Meine Mutter sollte bald eintreffen, ich hatte zwei Klagen am Hals, und Spanien befand sich noch im Krieg. Ich war verwirrt, körperlich und seelisch von meiner Vorgeschichte mitgenommen, ich konnte es nicht erwarten, von meiner Mutter zu hören und eine falsche Identität anzunehmen, um in jenem fremden Land Kunden zu gewinnen. Es stimmt, um mich nicht rettungslos in Marcus zu verlieben, verschanzte ich mich hinter einer Mauer, doch es gelang ihm, sie zu überwinden. Er kletterte durch einen winzigen Spalt und drang zu mir vor. Seitdem habe ich niemanden mehr geliebt, mich nicht einmal von irgendeinem Mann angezogen gefühlt. Die Erinnerung an ihn hat mich stark gemacht und mir geholfen, mit der Einsamkeit fertigzuwerden – und glaube mir, Rosalinda, ich bin in dieser ganzen Zeit sehr einsam gewesen. Und als ich schon glaubte, ihn niemals wiederzusehen, hat das Leben ihn mir in den Weg gespült, und zwar im schlechtesten aller denkbaren Augenblicke. Es geht mir nicht darum, ihn wiederzugewinnen oder eine Brücke in die Vergangenheit zu schlagen, um das Verlorene zurückzuholen, ich weiß, dass das unmöglich ist in dieser verrückten Welt, in der wir leben. Aber zumindest kann ich ihm helfen, dass sie ihn nicht töten, ich muss es einfach versuchen.«
Sie merkte ganz sicher, dass meine Stimme zitterte, denn
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