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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
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und kein Gramm zu viel auf den Rippen, gute Manieren und ein Herz, das mich mit jeder Stunde, die wir miteinander verbrachten, mehr zu lieben schien. Er war der Sohn einer kastilischen Witwe, die ihre Notgroschen unter der Matratze aufbewahrte, und wohnte mit kurzen Unterbrechungen in schäbigen Pensionen. Er strebte eine Laufbahn in der Bürokratie an und war ewiger Anwärter für jede Verwaltung, die ihm Aussicht auf ein lebenslanges Gehalt bot: sei es das Kriegs-, Finanz- oder Innenministerium. Der Traum von dreitausend Peseten jährlich, zweihundertfünfzig jeden Monat: ein sicheres Gehalt, für das er seine Zeit bis ans Ende seiner Tage in der eintönigen Welt der Behörden und Vorzimmer, von Lösch- und Büttenpapier, von Gebührenmarken und Tintenfässern würde verbringen müssen. Darauf bauten wir unsere Zukunft: auf einem biederen Beamtentum, das sich – von Ausschreibung zu Ausschreibung – beharrlich weigerte, meinen Ignacio auf seine Liste zu setzen. Doch er verlor nicht den Mut und blieb hartnäckig. Im Februar probierte er es mit dem Justiz- und im Juni mit dem Landwirtschaftsministerium und dann das Ganze wieder von vorn.
    In der Zwischenzeit verwöhnte mich Ignacio, der sich keine kostspieligen Extravaganzen leisten konnte, mich aber fortwährend glücklich sehen wollte, im Rahmen seiner bescheidenen finanziellen Möglichkeiten: eine Pappschachtel voller Seidenraupen und Maulbeerblätter, Tüten mit heißen Kastanien und inbrünstige Liebesschwüre auf der Wiese unter dem Viadukt. Gemeinsam lauschten wir der Musikkapelle am Kiosk im Parque del Oeste und ruderten im Retiro an sonnigen Sonntagmorgen über den See. Es gab kein Sommernachtsfest mit Drehorgel und Schaukel, das wir nicht besuchten, keinen chotis, den wir nicht genau im Takt tanzten. Unzählige Nachmittage verbrachten wir im Parque de las Vistillas, unzählige Filme sahen wir uns in den Stadtteilkinos für eine Peseta fünfzig an. Eine Mandelmilch war für uns Luxus, ein Taxi unerschwinglich. Ignacios Schmeicheleien hingegen, die ja nichts kosteten, kannten kein Ende. Ich war für ihn der Himmel und die Sterne, die Schönste, die Beste. Meine Haut, mein Gesicht, meine Augen. Meine Hände, mein Mund, meine Stimme. Alles an mir erschien ihm unübertrefflich, war ein nie versiegender Quell der Freude. Und ich lauschte seinen Worten, schalt ihn töricht und ließ mich begehren.
    Dessen ungeachtet nahm das Leben in der Schneiderei zu jener Zeit eine andere Wendung. Es gestaltete sich schwierig, unsicher. Mit der Zweiten Republik kehrte Unruhe in den behaglichen Wohlstand im Umfeld unserer Kundinnen ein. In Madrid gärte und rumorte es, die politischen Spannungen waren an jeder Ecke deutlich spürbar. Die wohlhabenden Familien verlängerten ihren Sommerurlaub im Norden Spaniens immer wieder, wollten so lange wie möglich den Unruhen und dem Aufruhr in der Hauptstadt fernbleiben, auf deren Plätzen man lauthals für die kommunistische Tageszeitung El Mundo Obrero warb, während die zerlumpten Proletarier aus den Außenbezirken sogar bis zur Puerta del Sol aufmarschierten. Limousinen fuhren kaum noch durch die Straßen, ein opulentes Abschiedsfest reihte sich ans nächste. Die alten Damen der feinen Gesellschaft beteten Novenen, dass Manuel Azaña, der Präsident der Zweiten Republik, bald gestürzt werden möge. Und täglich kam es zu Schießereien in der Dämmerung, wenn die Gaslaternen in den Straßen angezündet wurden. Die Anarchisten brannten Kirchen nieder, die Falangisten zückten prahlerisch ihre Pistolen. Immer häufiger deckten die Angehörigen der Aristokratie und des Großbürgertums die Möbel mit Laken ab, entließen das Personal, verriegelten die Fensterläden und brachen eilig ins Ausland auf, wohin sie massenhaft Schmuck, Geld und ihre Ängste mitnahmen, während sie sich nach dem König im Exil und einem gehorsamen Spanien sehnten, das nicht in Sicht war.
    Von Mal zu Mal kamen weniger Señoras in Doña Manuelas Schneiderei, gab es weniger Bestellungen und folglich weniger zu tun. In einem schmerzlichen Prozess wurden erst die Lehrmädchen, dann nach und nach die übrigen Schneiderinnen entlassen, bis schließlich nur die Inhaberin, meine Mutter und ich übrig blieben. Und als wir schließlich das letzte Kleid für die Marquesa de Entrelagos fertig genäht, die Hände in den Schoß gelegt und sechs Tage mit Radiohören zugebracht hatten, ohne dass die Türglocke Kundschaft angekündigt hätte, teilte Doña Manuela uns seufzend

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