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Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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erwarten, daß eine Frau bis zu ihrem Ende immer weiter Kinder gebären würde, selbst wenn mit fortschreitendem Alter der Mutter die Überlebenswahrscheinlichkeit für jedes einzelne Kind stetig abnähme. Wäre es nicht immerhin den Versuch wert? Wir dürfen aber nicht vergessen, daß sie auch mit ihren Enkeln verwandt ist, wenngleich nur halb so nah.
    Aus verschiedenen Gründen, die sich möglicherweise aus der Medawarschen Theorie des Alterns ableiten lassen, wurden die Frauen zu Urzeiten mit fortschreitendem Alter allmählich weniger leistungsfähig bei der Aufzucht der Kinder. Daher hatte das Kind einer alten Mutter eine geringere Lebenserwartung als das einer jungen. Das bedeutet, wenn eine Frau an ein und demselben Tag ein Enkelkind bekam und selbst ein Kind gebar, war die Lebenserwartung des Enkelkindes höher als die des Kindes. Wenn eine Frau das Alter erreichte, in dem die Durchschnittschance jedes Kindes, bis zum Erwachsenenalter zu überleben, etwas weniger als halb so groß war wie die entsprechende durchschnittliche Chance jedes gleichaltrigen Enkelkindes, dann würde jedes Gen für die Investition in Enkelkinder statt in Kinder erfolgreicher werden. Zwar findet sich ein solches Gen nur in jeweils einem von vier Enkeln wieder, während eines von zwei Kindern das rivalisierende Gen trägt, aber dies wird durch die größere Lebenserwartung der Enkel aufgewogen, und das Gen für „Altruismus gegenüber Enkelkindern“ gewinnt im Genpool die Oberhand. Eine Frau könnte nicht maximal in ihre Enkel investieren, wenn sie weiter eigene Kinder bekäme. Daher wurden Gene für das Unfruchtbarwerden im mittleren Lebensalter zahlreicher, denn sie waren in den Körpern der Enkel enthalten, zu deren Überleben der großmütterliche Altruismus beigetragen hatte.
    Dies ist eine mögliche Erklärung für die Entwicklung der Menopause bei den Frauen. Die Fruchtbarkeit der Männer nimmt wahrscheinlich deshalb nicht abrupt, sondern allmählich ab, weil Männer sowieso weniger in jedes einzelne Kind investieren als Frauen. Vorausgesetzt, er kann mit jungen Frauen Kinder zeugen, wird es sich für einen Mann immer – selbst im hohen Alter noch – auszahlen, eher in Kinder als in Enkel zu investieren.
    In diesem und im vorangehenden Kapitel haben wir bisher alle Fragen vom Standpunkt der Eltern aus betrachtet, hauptsächlich von dem der Mutter. Wir haben gefragt, ob zu erwarten ist, daß Eltern Lieblingskinder haben, und ganz allgemein, welches die beste Anlagepolitik für einen Elternteil ist. Doch vielleicht kann ein Kind Einfluß darauf nehmen, wieviel seine Eltern in es investieren und nicht in seine Geschwister. Selbst wenn die Eltern nicht „beabsichtigen“, eines ihrer Kinder zu bevorzugen, könnte es nicht sein, daß die Kinder selbst die Eltern rücksichtslos dazu drängen, sie zu bevorzugen? Wäre ein solches Vorgehen für sie lohnend? Genauer: Würden Gene für das eigennützige Streben nach bevorzugter Behandlung unter Kindern im Genpool zahlreicher werden als rivalisierende Gene für das Sich-Zufriedengeben mit nicht mehr als dem gerechten Anteil? Diese Frage hat Trivers in seinem 1974 veröffentlichten Aufsatz mit dem Titel Parent-Offspring Conflict   auf brillante Weise analysiert.
    Eine Mutter ist mit allen ihren Kindern – geborenen wie noch ungeborenen – gleich nah verwandt. Aus rein genetischen Gründen dürfte sie also, wie wir gesehen haben, keine Lieblingskinder haben. Wenn sie dennoch eines ihrer Kinder bevorzugt, so sollte der Grund dafür ein Unterschied in der Lebenserwartung sein, der seinerseits wieder vom Alter und von anderen Faktoren abhängig ist. Die Mutter ist, wie jedes andere Lebewesen, zweimal so nahe mit sich selbst „verwandt“ wie mit irgendeinem ihrer Kinder. Unter sonst gleichen Umständen würde das bedeuten, daß sie den Großteil ihrer Mittel eigennützig in sich selbst investieren sollte; aber die sonstigen Umstände sind nun einmal nicht gleich. Sie kann ihren Genen mehr Gutes tun, wenn sie einen angemessenen Teil ihres Kapitals in ihre Kinder investiert, denn diese sind jünger und hilfloser als sie und können daher stärker von jeder angelegten Einheit profitieren als sie selbst. Gene für das bevorzugte Investieren in Geschöpfe, die hilfloser sind als man selbst, können im Genpool die Oberhand gewinnen, auch dann, wenn man möglicherweise nur einen Bruchteil seiner Gene mit den Nutznießern teilt. Dies ist der Grund dafür, daß Tiere elterlichen Altruismus an

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