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Das einsame Herz

Das einsame Herz

Titel: Das einsame Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Dresden«, wiederholte der Wartende, denn es schien, als erwecke sein Name keinerlei Erstaunen, Freude oder gar Verstehen. »Ich bin der neue Apothekergeselle!«
    »Himmel – in der Nacht!«
    Die schwere Tür flog auf, und Otto Heinrich sah eine gespenstige Gestalt in einem überlangen Nachthemd.
    »Lieber Kollege – so spät hätte ich Sie nicht erwartet. Wenn das der Alte merkt, gibt es gleich zur Einführung einen Veitstanz! Kommen Sie schnell und leis hinein, hinauf, ins Bett, und rühren Sie sich nicht bis morgen.«
    Damit nahm der Riese die Gepäcke wie eine Feder auf die Schulter, schlich die Stiege hinauf und vermied es krampfhaft, daß die Treppenstufen knarrten.
    Verwundert über diesen Empfang, folgte ihm Otto Heinrich, erhielt einen bösen Blick, weil er bei einem Fehltritt auf der unbeleuchteten Treppe Lärm schlug, und trat dann in ein kleines Zimmer unter dem Dach ein, in dem neben zwei Betten nichts stand als ein Tisch, zwei Stühle und ein Regal mit Haken für die Kleidung.
    Erst in der Kammer entzündete der Riese eine Kerze, warf das Gepäck auf das zweite, unbenutzte Bett, kratzte sich den Schädel, sah den Neuangekommenen an und sagte dann:
    »Mein Name ist Bendler. Ich bin der erste Provisor.«
    Dann, als erkenne er erst die Lage des Kollegen aus Dresden, rückte er ein Brot und etwas Käse auf den Tisch, lud mit einer Handbewegung zum Essen ein und meinte:
    »Wundern Sie sich nicht, Kollege – Sie sind nicht mehr in der Dresdner Hofapotheke, sondern beim Apotheker Knackfuß in Frankenberg im Erzgebirge! Wenn Sie nicht wissen, was das heißt, so werden Sie das in spätestens einer Woche genau wissen! Sie dürfen sich nicht wundern, Sie dürfen nicht klagen, noch weniger etwas erwarten – Sie dürfen nur an das Vergängliche allen Fleisches denken, das ist das einzige, was Sie in Zukunft obenhalten kann! – So, und jetzt essen Sie, legen sich hin und schlafen. Wenn die Sonne scheint, werden Sie dem Meister vorgeführt. Er wird Sie zwar nicht fressen, aber anbrüllen bestimmt!«
    Damit löschte er die Kerze aus, ohne Rücksicht, ob Otto Heinrich mit dem Essen zu Ende war, und wälzte sich mit einem Stöhnen auf das Bett, das sich für seine Länge als viel zu kurz erwies, so daß er stets krumm lag. Ein tiefes, gleichmäßiges Atmen ließ nach kurzer Zeit erkennen, daß der Riese Bendler eingeschlafen war.
    Otto Heinrich Kummer saß noch lange im Dunkeln an dem Tisch und schaute durch das Lukenfenster hinauf in den fahlen Nachthimmel.
    Frankenberg, dachte er.
    Jetzt bin ich in Frankenberg.
    In der Einsamkeit.
    In der Fremde.
    In der Verbannung.
    Und dort, weit weg, hinter den Bergen und Wäldern, viele Tagesreisen durch Schluchten und Dörfer liegt Dresden, das sonnige, herrliche, mächtige, königliche Dresden.
    Die Residenz des Königs.
    Das Schloß. Der Traum des Zwingers.
    Die weite, große Oper mit der Quadriga der Panther auf dem Dach.
    Die breite Brühlsche Terrasse an der noch jugendlichen Elbe.
    Könnte ich jetzt in den Gärten wandeln, am Nymphenbrunnen des Zwingers die Serenaden hören, durch die Gänge der Gemäldegalerie wandeln und im Grünen Gewölbe den Porzellan- und Goldschatz des Starken August bewundern. Nur durch die Straßen gehen, das Leben aufsaugen, das bunte, vielfältige und doch so einfältige Leben, die Straßen sehen, die meiner Kindheit Glanz und Erleben gaben.
    Otto Heinrich Kummer stand auf und trat an das Fenster.
    Traurig lehnte er den Kopf an den Rahmen und blickte hinaus in die ziehenden Wolken mit dem Wunsch, mit ihnen zu reisen, denn sie zogen in die Heimat und würden morgen vielleicht am glänzend blauen Himmel über dem weiten Bau des Zwingers hängen.
    Auf dem Bette rührte sich die Gestalt des Riesen Bendler. Knurrend wälzte er sich herum und bemerkte den Stummen an dem Lukenfenster.
    »Schon Heimweh?« sagte er halblaut. »Kenne ich. Habe ich auch gehabt, als ich vor fünf Jahren nach Frankenberg in die Fänge des alten Knackfuß kam. Geht schon vorüber, Kamerad – mußt die Zähne fest aufeinanderbeißen und den Kloß, der dir dabei im Halse steckt, einfach hinunterschlucken! Zu ändern ist doch nichts! Warum kommst du auch zu diesem Knackfuß!«
    »Mein Vater hat es so bestimmt«, antwortete Otto Heinrich leise.
    Bendler pfiff laut durch die Zähne. »Der Vater – das ändert vieles. Der Alte verkaufte dich also?! Kennt er den Knackfuß?«
    »Ich weiß nicht. – Er hatte eine Empfehlung.«
    »Empfehlung!« Der Riese lachte schrill. »Auf

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