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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Meine Mama wohnt in einem Betonblock. Ich könnte ja zum Beispiel zu ihr ziehen!«
    Terje gab auf, schüttelte den Kopf und überließ dieses störrische Kind Maren.
    »Wovor hast du eigentlich Angst?« fragte sie leise und winkte ihn in sein Zimmer.
    Widerwillig stapfte er hinter ihr her.
    »Ich habe keine Angst.«
    Er ließ sich auf sein aufächzendes Bett fallen, und Maren ertappte sich dabei, wie sie dieses solide Möbelstück bewunderte. Sie setzte sich neben ihn.
    »Wenn du keine Angst hast, warum willst du dann nicht klettern?«
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    »Mir ist eben nicht danach. Ich habe keine Angst.«
    Vom Flur her hörten sie Kenneths verzweifeltes Weinen, aber sie hörten auch die anderen Kinder begeistert johlen und Tarzanrufe ausstoßen, wenn sie sich an den Leinen nach unten schwangen.
    Sie war keine Heilige. Der blödeste Spruch, den sie kannte, war die Behauptung: »Ich bin ja so kinderlieb!«
    Kinder waren wie Erwachsene, manche bezaubernd, manche hinreißend, andere wiederum Miststücke. Als professionelle Fürsorgerin glaubte sie, niemand könne es ihr ansehen, wenn sie ein Kind nicht leiden mochte. Sie behandelte nicht alle Kinder gleich, denn sie waren nicht gleich, aber sie war gerecht und machte keine Unterschiede. Olav aber sprach sie auf ganz besondere Weise an.
    Seit er hier war, hatte niemand ihn anfassen dürfen. Und doch hatte er etwas, wie er hier so saß. Wie ein bekleideter Buddha, der wütend aussehen will und doch nur traurig ist; seine ganze makabre Gestalt hatte etwas, das sie zu ihm hinzog. Sie trotzte dem Berührungsverbot und fuhr ihm langsam über die Haare. Er wehrte sich nicht.
    »Was ist denn bloß los mit dir, kleiner Olav?« fragte sie leise und streichelte ihn noch einmal.
    »Besonders klein bin ich ja nicht gerade«, sagte er, aber sie ahnte ein Lächeln in seiner Stimme.
    »Ein bißchen schon.« Sie lachte. »Ab und zu zumindest.«
    »Arbeitest du gern hier?« fragte er plötzlich und schob nun doch ihre Hand weg.
    »Ja. Ich arbeite sehr, sehr gern hier. Ich möchte um nichts in der Welt einen anderen Arbeitsplatz.«
    »Wie lange bist du denn schon hier?«
    »Seit etwa drei Jahren …« Sie zögerte, dann fügte sie hinzu:
    »Seit ich von der Schule gekommen bin. Von der Sozialschule.
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    Bald sind es vier Jahre. Und ich will noch viele, viele Jahre hier bleiben.«
    »Warum legst du dir nicht lieber eigene Kinder zu?«
    »Das mache ich vielleicht irgendwann einmal. Aber deshalb arbeite ich nicht hier. Weil ich keine eigenen Kinder habe, meine ich. Die meisten, die hier arbeiten, haben welche.«
    »Wie viele Seiten hat die Bibel?« fragte er unvermittelt.
    »Die Bibel?«
    »Ja, wie viele Seiten hat die? Das müssen doch verdammt viele sein. So dick, wie sie ist.«
    Er schnappte sich die Bibel, die auf seinem Nachttisch lag, denn in diesem Haus lag auf jedem Nachttisch eine Bibel und schlug sich damit ein paarmal auf den Oberschenkel, ehe er sie Maren reichte.
    Maren blätterte darin herum.
    »Du kannst auf der letzten Seite nachsehen«, schlug er vor.
    »Du brauchst sie nicht zu zählen.«
    »Tausendzweihunderteinundsiebzig«, sagte sie. »Und ein paar mit Landkarten. Und du … ich meine das mit der Flucherei wirklich ernst. Sollen wir jetzt die Feuerleiter ausprobieren?«
    Er stand auf, und das Bett seufzte vor Erleichterung.
    »Ich gehe jetzt nach unten. Über die Treppe.«
    Hier gab es nichts mehr zu diskutieren.

    Ich habe mich ans Jugendamt gewendet, als er zwei Jahre alt geworden war. Ich war außer mir vor Angst, ich brauchte Hilfe.
    Ich hatte schon seit Monaten dort anrufen wollen, aber ich hatte es immer wieder aufgeschoben, weil ich doch nicht wußte, was sie machen würden. Sie durften ihn mir nicht wegnehmen. Wir hatten doch nur einander. Ich stillte ihn noch immer, obwohl er nun schon neunzehn Kilo wog und jeden Tag fünf weitere 26
    Mahlzeiten zu sich nahm. Er aß alles. Ich weiß nicht, warum ich so lange so weitergemacht habe. Wenn ich ihn stillte, war er wenigstens diese zehn Minuten lang ruhig. Alles war unter Kontrolle. Es waren kleine Momente des Friedens. Als er das Interesse daran verlor, bedeutete das einen Verlust für mich, nicht für ihn.
    Sie waren wirklich nett. Nachdem sie mich einige Male besucht hatten, vielleicht zwei- oder dreimal, bekam ich einen Kindergartenplatz. Von Viertel nach acht bis fünf. Sie sagten, ich brauchte ihn nicht die ganze Zeit dort zu lassen; weil ich doch nicht berufstätig sei, könne ich seine Tage dort abkürzen.
    So lange Tage

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