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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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unter den Erwachsenen hier im Heim die einzige, die er leiden konnte. Sie war logisch.
    Das war sonst fast keine. Auch seine Mutter nicht. Und Agnes schon gar nicht.
    »Ich hab solchen Hunger«, beklagte er sich leise.
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    »Aber wir haben doch erst vor einer halben Stunde gegessen!«
    »Ich hab aber nur zwei Brote gekriegt.«
    Maren schaute sich um und konnte niemanden entdecken. Mit übertriebenen Bewegungen legte sie den Zeigefinger an ihren lächelnden Mund und schlich in die Küche, wobei sie das Lied der Räuber von Kardemomme summte. Olav lächelte und schlich hinterher, obwohl er das alles ziemlich beknackt fand.
    Sie öffnete den Kühlschrank einen Spaltbreit. Beide lugten sie durch den Spalt. Das Licht ging an und aus, weil die Tür nicht ganz offen war, und deshalb mußten sie den Spalt verbreitern.
    »Was möchtest du denn?« flüsterte Maren.
    »Frikadellen«, flüsterte Olav zurück und zeigte auf die Reste vom Vortag.
    »Das geht nicht. Aber du kannst einen Joghurt haben.«
    Damit war er nicht sonderlich zufrieden, aber es war immerhin besser als nichts.
    »Kann ich Müsli dazutun?«
    »Klar.«
    Maren nahm einen Haushaltsbecher Joghurt aus dem
    Kühlschrank und goß etwas davon in einen Napf. Olav hatte die Müslipackung aus dem Schrank geholt und leerte gerade den dritten Löffel über seinem Napf aus, als Agnes in der Tür erschien.
    »Was macht ihr denn hier?«
    Beide erstarrten für einen Moment, dann packte Maren den Napf und stellte sich vor Olav hin.
    »Olav hat solchen Hunger. Und ein bißchen Joghurt kann doch nicht schaden.«
    Agnes sagte kein Wort, als sie um den großen Eßtisch herumging und Maren den Napf wegnahm. Immer noch
    schweigend nahm sie Plastikfolie aus einer Schuhlade, 30
    umwickelte damit den Napf und schob die beiden Sünder beiseite, um den Napf in den Kühlschrank zu stellen und die Tür zu schließen.
    »So. Wir essen in diesem Haus nicht zwischen den
    Mahlzeiten. Das wißt ihr beide ganz genau.«
    Sie sah Olav kein einziges Mal an. Sie starrte die ganze Zeit Maren an. Maren zuckte verlegen mit den Achseln und legte die Hand auf Olavs Schulter. Olav dagegen hatte sich nach dem ersten Schrecken wieder gefaßt.
    »Verdammte Kuh!«
    Agnes hatte die Küche gerade verlassen wollen, aber nun erstarrte sie. Langsam drehte sie sich um.
    »Was hast du gesagt?«
    Zur Warnung drückte Maren die Schulter des Jungen.
    »Verdammte blöde Scheißkuh!«
    Jetzt schrie der Junge.
    Agnes Vestavik war schneller bei ihm, als irgendwer erwartet hätte. Sie packte sein Kinn und zwang sein Gesicht hoch zu ihrem. Er protestierte, indem er die Augen zusammenkniff.
    »Solche Ausdrücke werden hier nicht benutzt«, fauchte sie, und Maren hätte schwören können, daß ihre linke Hand sich wie zu einem heftigen Schlag hob. Es wäre das erstemal in der Geschichte gewesen, daß Agnes Vestavik Hand an ein Kind gelegt hätte. Nach kurzem Zögern ließ sie die Hand sinken, hielt aber das Kinn des Jungen weiterhin fest.
    »Sieh mich an!«
    Er kniff die Augen noch fester zusammen.
    »Olav! Mach die Augen auf und sieh mich an!«
    Olavs Gesicht war rot angelaufen, und die Finger der Heimleiterin hatten weiße Spuren darin hinterlassen.
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    »Ich kümmere mich um ihn«, sagte Maren leise, bittend. »Ich werde mit ihm reden.«
    »Reden! Hier wird nicht geredet! Hier wird …«
    »Rotzfotze«, murmelte Olav mit zusammengebissenen
    Zähnen.
    Die Heimleiterin war jetzt leichenblaß. Wieder hob sie die linke Hand, wieder ließ sie sie nach wenigen Sekunden sinken.
    Ihr Griff um das Kinn des Jungen wurde härter. Dann schluckte sie zweimal und ließ ihn langsam los. Der Junge machte die Augen noch immer nicht auf und blieb mit nach oben gewandtem Gesicht stehen.
    »Ich werde deine Mutter anrufen und ihr sagen, daß sie sich in den nächsten zwei Wochen nicht herzubemühen braucht.
    Verstehst du das? Das wäre doch eine passende Strafe.«
    Maren öffnete schon den Mund zum Widerspruch, schloß ihn aber wieder, als der Blick der Heimleiterin sie traf. Sie versuchte, zwischen den Jungen und Agnes zu treten, aber das war nicht leicht, denn Olav hatte nach der Urteilsverkündung Augen und Mund zugleich aufgerissen und wollte sich auf Agnes stürzen. Die ihrerseits hatte sich umgedreht und war schon auf dem Weg aus der Küche. Maren konnte den Jungen gerade noch aufhalten, indem sie seine Arme packte und sie ihm auf den Rücken drehte. Er heulte auf.
    »Ich hasse dich! Ich hasse diese verdammte alte Fotze!«
    Agnes

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