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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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letzten Rest des Tageslichts ihren Pudel ausführte, brüllte wie besessen.
    Die Vorderfront des Wagens traf den Jungen auf Kniehöhe und brach ihm fast augenblicklich beide Beine. Er wurde auf die Motorhaube geschleudert, und sein schwerer Körper zerschlug die Windschutzscheibe, ehe der Kopf aufs Dach aufprallte. Der Fahrer des Streifenwagens verlor Lenkrad und Straße aus dem Griff, der Wagen schlingerte seitwärts zehn Meter über den Asphalt und durchschlug dann einen meterhohen Drahtzaun, um schließlich vor einem Baumstumpf zum Halten zu kommen.
    Beide Türen waren eingebeult, und benommen rüttelten die beiden Polizisten an ihren Türgriffen.
    Olav lag auf der Straße.
    Maren Kalsvik erreichte den Jungen in dem Moment, als er die Augen öffnete. »Ganz still liegen bleiben, Olav, du mußt jetzt ganz still liegen bleiben.«
    Wieder lächelte er, dieses fremde, echte Lächeln. Sie setzte sich neben ihn und hätte ihn am liebsten in die Arme genommen. Aber er konnte sich doch das Genick gebrochen haben. Deshalb hielt sie ihr Gesicht ganz nahe an seins und streichelte behutsam mit den Fingerspitzen seine Wange.
    »Das wird schon wieder gut, Olav. Bleib nur ganz still liegen, dann wird alles wieder gut.«
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    Er sabberte, und sie wischte ihm vorsichtig mit dem Jackenärmel den Speichel von der Wange.
    »Ich habe dich gesehen, Maren«, flüsterte er, es war kaum zu verstehen. »Du bist gerannt. Durch den Garten. Hast du gehört
    …«
    Er schnitt eine leichte Grimasse, und sie versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen.
    »Hast du nicht gehört, daß ich …«, stöhnte er trotzdem.
    »Du …«
    Maren Kalsvik fror ganz entsetzlich. Die Kälte brach einfach über sie herein und hatte nichts mit der Tatsache zu tun, daß sie an einem Februarnachmittag auf Socken und ohne Mantel auf einer schmutzigen Osloer Straße hockte. Die Kälte kam von innen, aus einem Raum, den sie abgeschlossen und versiegelt und dessen Schlüssel sie weggeworfen hatte. Jetzt stand die Tür weit offen. Sie klapperte mit den Zähnen und versuchte noch einmal, den Jungen zum Schweigen zu bringen.
    »Ganz still liegen, Olav. Du mußt ganz still liegen.«
    Verzweifelt richtete sie sich auf und rief: »Einen Krankenwagen, hat denn niemand einen Krankenwagen
    geholt?«
    Die alte Dame saß auf dem Bürgersteig und weinte so heftig, daß der Pudel winselnd und kläffend um sie herumlief. Die Polizisten hatten sich noch immer nicht aus dem Autowrack befreien können. Nun bog ein anderes Auto um die Ecke und bremste, sowie der Fahrer die Lage erfaßt hatte.
    »Holt einen Krankenwagen!« schrie Maren noch einmal, und diesmal war Christian gemeint, der wie eine Salzsäule auf der Treppe stand und die Türklinke umklammert hielt, während fünf Kinder von innen daran rüttelten.
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    »Du hast geweint«, flüsterte Olav so leise, daß sie das Ohr an seinen Mund halten mußte. »Du … ich habe dich laufen sehen, Maren.«
    Dann lächelte er noch einmal und flüsterte ihr undeutlich etwas ins Ohr.
    Als Hanne Wilhelmsen und Billy T. die fünfzehn Meter von ihrem Auto, das jetzt die Straße versperrte, hinter sich gebracht hatten, seufzte Olav Håkonsen leicht, fast unhörbar, und starb.

    Hanne Wilhelmsen hatte Maren Kalsvik anderthalb Stunden lang verhört und nichts anderes erreicht, als Cecilie ernstlich in Rage zu bringen. Es hatte seine Zeit gedauert, im Kinderheim wieder Ordnung zu schaffen. Hanne starrte die jetzt fast schwarze Fensterfläche an und dachte resigniert, daß ihre Gäste jetzt wohl mit der Vorspeise fertig waren. Falls Cecilie etwas anderes hatte servieren können als den Spargel, der ja leider niemals bei ihr eingetroffen war.
    Wenn nur Billy T. bald käme! Der hatte an diesem
    Wochenende seine Kinder bei sich, hatte aber versprochen, zu kommen, sobald die Jungs im Bett lagen. Seine Schwester würde babysitten. Hanne fuhr sich durch die Haare und massierte sich die Kopfhaut.
    Sie kam einfach nicht weiter.
    Maren Kalsvik hatte auf einen Anwalt verzichtet. Hanne Wilhelmsen hatte darauf hingewiesen, daß ihr
    Urkundenfälschung vorgeworfen, daß sie des Mordes an Agnes Vestavik vorerst aber nur verdächtigt wurde.
    »Also kann sie noch nicht alle möglichen Rechte geltend machen«, hatte Billy T. ganz richtig festgestellt.
    Aber auf einen Anwalt hatte sie trotzdem Anspruch. Und lehnte ab. Die Sache mit dem Zeugnis gab sie mit gleichgültiger Stimme zu, ohne eine Miene zu verziehen. Überhaupt saß sie 257
    während des gesamten Verhörs da

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