Das Ekel von Datteln
Junge! Wir sind gleich da …«
Hinter einer leichten Rechtskurve weitete sich der Blick: Die Straße führte in offeneres Gelände hinaus. Auf Saales Seite lag, ein ganzes Stück zurückgesetzt, der Ankerplatz, halb rechts zweigte die aufgeschüttete Rampe ab, die – parallel zum nahen Ufer – zwischen Birken, Pappeln und Weiden zu den Schleusen hinaufführte.
»Da sind sie!«, flüsterte Saale.
Er zeigte auf einen schmalen Zipfel Wiese, der – schon im Schatten der Dämme – zwischen Hafenbecken und Rampe lag. Neben einer tief hängenden Trauerweide erkannte nun auch Mager den kahlen Schädel des Betonfabrikanten und die handtuchbreite Gestalt des Bürgermeisters. Der Abstand zwischen den beiden und die heftigen Bewegungen ihrer Arme ließen gar nicht erst den Verdacht aufkommen, da vorne würden alte Treueschwüre erneuert.
»Geradeaus weiter!«
Ganz sachte gab Saale Gas. Er hielt erst wieder an, als die nach Süden ansteigende Rampe zwischen ihnen und den Streitenden lag. Zum Parken aber war die Stelle eigentlich zu schmal. Saale lenkte den Kombi so weit an den Rand, dass sich die Räder auf der Beifahrerseite in den schweren Boden des Ackerstreifens gruben, der sie noch von der Böschung der Schleusenauffahrt trennte.
»Raus!« Doch Saale rührte sich nicht.
»Muffe?«, fragte Mager.
»Ja. Was sagen wir den beiden, wenn sie fragen, warum wir …«
»Irgendeinen Scheiß«, winkte Mager ab. »Landschaftsaufnahme. Dattelns wichtigste Männer am Schauplatz ihrer Jugendsünden. Außerdem werden sie uns nicht sehen. Lass uns mal Mäuschen spielen …«
Sie stampften über die Brache und keuchten die Böschung hinauf. Mager rutschte aus, schlug der Länge nach hin, fluchte leise. Als er aufstand, war sein blauer Pullover grün wie Gras.
Vorsichtig spähten sie über die Fahrbahn hinweg: Von ihren Kunden war nichts zu sehen. Aber sie hörten ihre Stimmen.
»Wir müssen näher ran!«, raunte Mager.
Gebückt schlichen sie über die schmale Asphaltpiste auf ein paar dickere Baumstämme zu. Noch hing genug Laub an den Zweigen, um sie gegen einen flüchtigen Blick zu schützen.
»Ich packe aus, hat er gesagt. Und wahrscheinlich war er so blöd, dich auch noch anzurufen. Verstehst du? Er wäre lieber ein Leben lang in den Knast …«
In der Ausfahrt tauchte der Bug des Holländers auf. Sein Diesel ließ in der engen Schleusenkammer einen blau-weißen Qualmwirbel zurück, der sich nur langsam auflöste. Das Tuckern des Motors wurde von den steilen Mauern verdreifacht.
»Mist!«, schimpfte der Dicke so laut, dass Saale erschrocken den Finger an den Mund legte – eine Geste, die sogar Mager verstand. Aber ihre Sorge war unnötig: Drei Meter vom Wasser und dem lärmenden Diesel entfernt, konnten die beiden Streithähne einander selbst kaum verstehen.
Vor Ungeduld fiebernd klebten Mager und Saale hinter ihren Bäumen und hofften, dass diese Scheiß-Kähne sich möglichst bald verzogen.
»Weißt du, was ihn am meisten fertiggemacht hat? Dass du ihn belogen hast. Er hat anfangs wirklich geglaubt, du wolltest ihn warnen und er hätte nur seine eigene Haut gerettet. Aber in Vlieland und in Ruths Wohnung hat er all das Material gefunden, das Ruth gegen dich in der Hand hatte. Nicht ihm wollte sie an die Wäsche, sondern dir. Januar fünfundvierzig! Denkst du noch manchmal daran? Mit der Vlieland-Geschichte hätte sie dir das Genick gebrochen. Und darum hast du ihn gegen das Mädchen gehetzt. Wie einen Bluthund …«
»Mensch, ich hatte gar keine andere Wahl. Gellermann hat durchgedreht. Der wollte sich stellen und hätte uns alle mit reingerissen. Dich, mich, unsere Familien. Alles wäre hin gewesen, was wir uns in den letzten vierzig Jahren hier aufgebaut haben. Alles, was wir für diese Stadt getan haben, hätten sie in den Dreck gezogen. Und wofür? Für eine Sache, die schon so weit zurückliegt, dass sie schon gar nicht mehr wahr ist. Wir waren damals noch halbe Kinder …«
»Die Ausrüstung!«, flüsterte Saale. »Schnell!«
Im Rückwärtsgang zogen sie sich von ihrem Horchposten zurück, sprangen die Böschung hinunter und rannten durch den Lehm zum Wagen. Um die Ausrüstung herauszuholen, brauchten sie nur Sekunden, dann ging es wieder durch die Matsche – die unvermeidlichen Leiden der Reporter, die noch vom großen Fernsehpreis träumen.
Am Fuß der steilen Böschung hielt Mager an und zerrte mit einem Ruck die rote JVC-Kamera aus dem klobigen Kunststoffkoffer. Er klappte das Okular herunter und
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