Das Ekel von Datteln
steile Steintreppe zum Ufer des Hafenbeckens hinab. Das Wasser vor dem Stahltor hatte sich beruhigt, gleich würde die Sperre hochgezogen werden. Misstrauisch blickte Roggenkemper zu den beiden Jungen auf der Brücke hoch, aber sie waren viel zu weit weg, um sie belauschen zu können.
»Gustav …«
»Nein, jetzt hör mir mal zu!«
Der Unternehmer tippte Roggenkemper auf die Brust und schob ihn ein Stück vor sich her, von der Treppe weg. Auch er schaute noch einmal zur Schleuse hoch und am Ufer entlang – aber kein Jogger, kein Angler war in der Nähe. Die zahlreichen Geräusche, die durch die Luft schwirrten, schirmten sie zusätzlich ab. Selbst das Surren der Autos auf der Bundesstraße drang von der Natorper Brücke bis zu ihnen herüber.
»Weißt du, warum ich so sicher bin? Weil mich Uwe Sonntagnachmittag angerufen hat. Er saß wieder allein zu Hause, die Kinder bei der Oma in Essen, Heike auf Lanzarote. Er hat den ganzen Samstag durchgesoffen und am Sonntag das heulende Elend gekriegt. Fertig war er, restlos fertig. Einen Mord wäscht man nicht einfach von sich ab. Aber als er Ruth umbrachte, da hat er noch geglaubt, was du ihm erzählt hast: Dass Ruth ihn hochgehen lassen wollte. Dass es um seine Karriere ging, die zu Ende wäre, noch bevor sie richtig begonnen hatte: Unterschlagung, Steuerhinterziehung, Kreditbetrug …«
»Du kennst eure Sünden ja sehr genau«, warf Roggenkemper ein und lachte kurz auf.
»Für wie blöd hältst du mich eigentlich?«, fragte Puth kalt. »Ich weiß mehr, als du glaubst. Zum Beispiel auch, dass Uwe mich beschissen hat, wo er nur konnte. Aber mir waren die Hände gebunden. Die Firma durfte nicht ins Gerede kommen, wenn ich noch eine Chance haben wollte, sie zu retten. Außerdem war er ja dein Mann. Dein Ziehkind sogar. Dein Hauskandidat fürs Wirtschaftsministerium …«
Das stählerne Schleusentor bewegte sich langsam in die Höhe wie der Vorhang vor einer Theaterbühne. Nach und nach wurde der Blick auf die drei Lastkähne frei, die in ihrer über zweihundert Meter langen Schlucht auf die Weiterfahrt warteten. Auf dem Holländer löste ein Matrose bereits die Bugtrossen von den Stahlpollern am Beckenrand.
»Ich packe aus, hat er gesagt. Und wahrscheinlich war er so blöd, dich auch noch anzurufen. Verstehst du? Er wäre lieber ein Leben lang in den Knast gegangen, als die nächsten zwanzig Jahre nach deiner Pfeife zu tanzen. Ein Wirtschaftsminister für Datteln? Er wäre dein Privatminister geworden. Und diese Aussicht war für ihn schlimmer als der Knast.«
Er starrte aufs Wasser, ehe er Roggenkemper ins Gesicht sah.
»Wie du ihn dazu gekriegt hast, weiß ich nicht. Aber auf jeden Fall hat er dir Sonntag nach dem Anruf noch einmal die Tür aufgemacht. Du hast ihn einfach abgeknallt. Wie ein Karnickel, das in deinem Garten Blumen abfrisst. Er hätte daran denken sollen, dass ihr Kollegen seid. Zwei Mörder unter sich …«
43
Der Kiesbelag auf Puths Privatweg knirschte böse, als sie mit stampfenden Schritten zurück zum Wagen liefen. Sie warfen sich in die Sitze, als würden die das noch öfter aushalten, wendeten und rasten los. Mussten an der Bundesstraße warten, bis ein Linienbus vorbeigezockelt war. Klemmten sich hinter ihn und kamen auf dem kurzen Stück bis zur Brücke nicht mehr an ihm vorbei. Standen erneut, weil eine lange Fahrzeugschlange aus Datteln heraus über den Kanal kroch und ihnen das Linksabbiegen verwehrte.
»Meine Güte noch mal!«, stöhnte Mager. Mit brennenden Augen starrte er auf den Lindwurm aus Blech, auf das Hafenbecken hinter der Brücke, auf die beiden Riesenguillotinen an der Ostschleuse, die den ganzen Horizont beherrschten. Zum Greifen nah lagen sie vor ihnen.
In der Kolonne auf der Gegenspur tat sich plötzlich eine Lücke auf, groß genug, um eine Schwalbe durchzulassen.
»Fahr doch!«, brüllte Mager. Sein Anspruch, im Bett zu sterben, war in dieser Sekunde vergessen.
Und Saale fuhr. Fünfundsiebzig Pferdestärken heulten auf, die Reifen verloren einen halben Millimeter von ihrem Profil, zwei, drei entgegenkommende Fahrer mussten mit beiden Füßen auf ihre Bremsen – aber sie kamen durch. Stürzten sich die schmale Piste zum Kanal hinunter, dass die Bäume und Büsche an beiden Seiten ängstlich zurückwichen, rasten auf das Wasser und die Schleusen zu. Linkskurve, noch ein paar Bäume – in diesem Stil hätten sie eine Chance auf der Rallye Paris-Dakar gehabt.
»Langsamer«, warnte Mager jetzt. »Bremsen,
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