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Das Ekel von Datteln

Das Ekel von Datteln

Titel: Das Ekel von Datteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo P. Reinhard; Ard Junge
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sich nach allen Seiten um.
    Sie standen am Rande der ausgedehnten Deichanlage, an der die ersten siebenhundert Meter des Wesel-Datteln-Kanals enden. Flankiert von erhöhten Steuerungskabinen, Trafostationen und Maschinenhäuschen, graben sich zwei parallel angelegte Schleusen tief in den hohen Wall. Während das kürzere, westliche Bassin von Stahltüren versperrt wird, die bei Bedarf zur Seite weggefahren werden, ragen am Anfang und am Ende des östlichen Beckens zwei grün gestrichene Metallgerüste in den Himmel, an denen die stählernen Tore hochgezogen werden – wie das Fallbeil in einer Guillotine.
    »Stimmt schon«, nickte Puth, der diesen Vergleich, auf den Roggenkemper schon vor Jahrzehnten gekommen war, längst vergessen hatte. Er ging ein paar Meter weiter und lehnte sich über das Geländer der Brücke, die über die Ausfahrt der längeren Kammer führt. Unter ihm zischten und gurgelten schmutzige Strudel; durch die Rohröffnungen am Boden der Fahrrinne schossen über dreiundzwanzigtausend Kubikmeter Wasser in das acht Meter tiefer liegende Hafenbecken. In wenigen Minuten würden die beiden deutschen Kähne und der tief liegende Holländer ihre Fahrt zum Niederrhein fortsetzen können. Das Auf und Ab der Schiffe war ein Schauspiel, das sie schon als Kinder fasziniert hatte.
    Der Bürgermeister drehte sich um und nickte zum Hafen hinüber: »Weißt du noch, wie wir da unten gebadet haben? Und wie dein Alter uns beiden den Arsch versohlt hat?«
    Der Unternehmer nickte, aber in seinen Augen glomm Misstrauen auf: »Du bist doch nicht mit mir hierhermarschiert, um von den alten Zeiten zu schwärmen.«
    Der andere lachte.
    »Komm«, sagte Puth, der langes Herumreden noch nie hatte leiden können. »Ich kenne dich doch. Immer, wenn du von früher anfängst, willst du was von mir. Um was geht es diesmal?«
    Roggenkemper lächelte dünn: »Gustav, dir kann man auch wirklich nichts vormachen …«
    »Lass den Stuss! Erzähl!«
    Die drei Schiffe waren schon mehrere Meter tief abgesackt. Wie die Felswände zu beiden Seiten einer Schlucht wuchsen neben ihnen schwarz und glitschig die Mauern der Schleusenkammer aus dem Wasser.
    »Wo warst du Sonntagabend?«, fragte der Bürgermeister plötzlich. »Gegen acht, halb neun …«
    »Sonntagabend? Zu Hause.«
    »Allein?«
    »Ja. Beatrix war in Dortmund, in der Operette. Weißt du doch, Hedwig war doch auch dabei! Wieso?«
    »Ach«, meinte Roggenkemper, »falls jemand nachfragt – ich war bei dir!«
    Puth nickte automatisch. Aber dann sah er den anderen scharf an: »Moment mal, Gerd – am Sonntag …«
    Roggenkempers Augen blieben betont ausdruckslos. Da begriff der Mann mit dem kantigen Schädel. »Du warst es also!«, sagte er und trat unwillkürlich ein paar Schritte zurück.
    »Was war ich?«, fragte Roggenkemper barsch.
    »Du hast …«
    »Quatsch. Eine Weibergeschichte, mehr nicht. Und falls jemand nachfragt, erzähl ihm, ich wäre bei dir gewesen …«
    Puth lachte spöttisch: »Für wen brauchst du denn ein Alibi? Hedwig kannst du sowieso nichts mehr vormachen. Sie hätte deine Seitensprünge doch fast alle mitzählen können. Wer war’s denn diesmal?«
    Als Roggenkemper schwieg, sprach er selbst weiter: »Sonntag ist Gellermann gestorben. Selbstmord, sagt die Polizei. Wieso brauchst du ein Alibi, wenn es Selbstmord war?«
    »Wie gesagt – nur eine Weibergeschichte. Gustav, du kennst mich doch …«
    »Eben. Und deine Weibergeschichten auch. Seit über vierzig Jahren …«
    Er spuckte in das Wasser hinunter, den alarmierten Blick des anderen ignorierend. Früher hatten sie das stundenlang gemacht: Auf Windstille gewartet und gezielt, gewettet, wer am besten treffen konnte. Früher.
    »Du warst es. Hast ihm eine Kugel in den Kopf gejagt und den Abschiedsbrief getippt.«
    »Und die Unterschrift?«, fragte der Bürgermeister. »Habe ich die etwa auch gefälscht?«
    »Hör doch auf! Wer sich im Rathaus auskennt, weiß, dass du stapelweise Blankopapier mit seiner Unterschrift hast. Zu Hause, im Büro. Damit du Briefe der Fraktion selbst schreiben kannst, wenn es eilt. Das läuft bei euch so, und bei uns ist es auch nicht anders. Mich wundert’s nur, dass dieser Lohkamp dir das abgenommen hat.«
    Zwei Halbwüchsige keuchten mit ihren Fahrrädern um die Ecke. Sie stellten ihre Stahlrösser ab und steckten ihre Köpfe dicht neben den Männern über das Geländer.
    Roggenkemper fasste Puth am Ellenbogen unter und zog ihn zur Seite. Hintereinander kletterten sie die

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