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Das Ekel von Säffle

Das Ekel von Säffle

Titel: Das Ekel von Säffle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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der Uhr oben am Bonmer-Haus zeigten die Zeit an, zwanzig Minuten vor zwei.
    In diesem Augenblick war der Mann im Auto genau 36 Jahre alt.
    Er fuhr jetzt Odengatan in östlicher Richtung entlang, vorbei am menschenleeren Vasapark mit seinen kalten weißen Lampen, die ein Licht warfen, das von Zehntausenden von kahlen Asten und Zweigen wie von Adern durchzogen war.
    Das schwarze Auto bog wieder nach rechts ab, rollte Dalagatan 125 Meter in südlicher Richtung hinunter, bremste und hielt an.
    Der Mann mit Mantel und Tweedmütze parkte bewußt nachlässig mit zwei Rädern auf dem Bürgersteig direkt vor der Treppe des Eastman-Instituts.
    Er stieg hinaus in die Nacht und schlug die Tür hinter sich zu. Dies geschah am 3. April 1971, einem Sonnabend. Der Tag war erst eine Stunde und vierzig Minuten alt, die Zeit also noch viel zu kurz, als daß schon etwas Nennenswertes hatte geschehen können.
    Um Viertel vor zwei ließ die Wirkung des Morphiums nach.
    Er hatte die letzte Spritze kurz vor zehn Uhr bekommen, die Betäubung wirkte demnach nicht ganz vier Stunden.
    Der Schmerz kam in kurzen Abständen zurück, erst rechts oben im Bauch, wenige Minuten später auch links. Dann breitete er sich strahlenförmig zum Rucken hin aus und zuckte schließlich durch den ganzen Körper, grausam und stechend, so als ob hungrige Geier an seinen Eingeweiden zerrten.
    Er lag auf dem Rücken in dem hohen, schmalen Metallbett und starrte auf die weißgekalkte Zimmerdecke, an der der schwache Schein der Nachtlampe sowie Licht und Reflexe von außen ein rechtwinkliges, nichtssagendes Schattenmuster bildeten, das genauso kalt und abstoßend war wie der ganze Raum.
    Die Decke war nicht eben, sondern bestand aus zwei flachen Wölbungen und schien weit weg zu sein. Das Zimmer war knapp vier Meter hoch und unmodern wie alles andere in diesem Gebäude. Das Bett stand in der Mitte auf dem Steinfußboden, und außer ihm gab es nur noch zwei weitere Möbelstücke in diesem Krankenzimmer, den Nachttisch und einen Holzstuhl mit hoher, gerader Lehne.
    Die Gardinen waren nicht ganz zugezogen und das Fenster nur angelehnt. Durch den fünf Zentimeter breiten Spalt strömte die frische, kalte Luft der Frühjahrsnacht herein, und trotzdem bereitete ihm der Geruch der verwelkenden Blumen auf dem Tisch sowie die Ausdunstungen seines eigenen geschundenen Körpers solche Übelkeit, daß er sich fast erbrechen mußte.
    Er hatte nicht geschlafen, sondern wach gelegen, ganz ruhig, und nur den einen Gedanken gehabt, daß die Betäubung bald nicht mehr wirken wurde.
    Es mußte vor etwa einer Stunde gewesen sein, da hatte er die Nachtschwester gehört, die in ihren Holzschuhen durch die doppelte Tür auf den Flur zurückgegangen war. Danach hatte er keinen Laut mehr vernommen, außer dem Geräusch seines eigenen Atems und vielleicht seines Blutes, das langsam und unregelmäßig durch den Körper pulsierte. Aber das waren keine bestimmten Laute, sondern eher eine Art nervöser Wachträume, natürliche Folgen der Furcht vor dem Schrecklichen, das bald kommen wurde, und der besinnungslosen Angst vor dem Sterben.
    Der Kranke war immer ein harter Mann gewesen, der nur selten und ungern die Schwachen und Fehler anderer tolerierte und niemals zugegeben hatte, daß er selbst möglicherweise einmal in die Lage kommen konnte, physisch oder psychisch nachgeben zu müssen.
    Jetzt hatte er Angst und fühlte sich überrumpelt und im Stich gelassen. Während der Wochen im Krankenhaus hatten sich seine Sinne geschärft, er war unnatürlich empfindlich gegen alle Formen physischen Schmerzes geworden, ihm schauderte sogar vor Injektionsnadeln und dem Stich m die Armbeuge, wenn die Krankenschwestern die tägliche Blutprobe nahmen. Außerdem hatte er Angst vor der Dunkelheit und konnte das Alleinsein nicht mehr aushalten. Er hatte gelernt, genau auf Geräusche zu achten, die er früher nicht einmal wahrgenommen hatte.
    Die regelmäßigen Proben, Untersuchungen, wie die Ärzte es zu allem Überfluß auch noch zu nennen pflegten, setzten ihm hart zu, und er fühlte sich danach stets schlechter als vorher. Und je schwacher er sich fühlte, um so mehr steigerte sich seine Angst vor dem Sterben, bis er Tag und Nacht nur noch an dies eine denken konnte und die Todesangst ihn in einen schutzlosen Zustand seelischer Nacktheit und beinahe obszönen Egoismus versetzte.
    Draußen vor dem Fenster raschelte etwas. Ein Tier natürlich, das durch das Laub auf den Rosenrabatten lief. Ein Maulwurf oder ein

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