Das elektronische Glück
beginne ich zu lesen. Ich zwinge mich buchstäblich dazu, Tunjawskis wissenschaftliche Arbeiten durchzulesen. Außer einigen Faktenangaben über den Mars und dessen Biosphäre setzt er dem Leser zweifelhafte Hypothesen und höchst naive Betrachtungen über vernunftbegabte Wesen im Weltall vor. Seine wissenschaftlich-phantastischen Erzählungen sind weitaus interessanter.
Aber leider hat er zuviel geschrieben, als daß ich all das durchlesen könnte.
Die Begegnung hinausschieben wollte ich nicht. Ich rief ihn an.
»Larionow?« fragt er zurück. »Nikolai? Nun, was soll ich tun, es scheint mir nichts anderes übrigzubleiben, als alles liegenzulassen, wenn Sie so sehr darauf bestehen. Ich bin, ehrlich gesagt, sehr beschäftigt.«
»Immanuel Kant war ebenfalls ein sehr beschäftigter Mann, trotzdem…« Ich stutze und beende den Satz nicht, der mir nur so entschlüpft ist.
»Kant?« fragt er. »Immanuel? Mich interessieren die Kantschen Ideen nicht übermäßig. Ich bin ja auch kein Philosoph. Ich hoffe, daß Sie nicht Kants wegen so auf unserer Begegnung bestehen?«
»Nein, Immanuel…« Ich ahme die familiäre Manier meines Geschäftspartners nach. »Immanuel Kant habe ich aus einem ganz anderen Grund erwähnt. Er war ebenfalls sehr beschäftigt, ließ aber alle Dinge liegen, um mich zu empfangen.«
Ich höre Lachen. »Sie sind ein sehr geistreicher Mensch.«
»Geistreich? Das kann ich nicht beurteilen. Aber ein Mensch bin ich nicht.«
»Was sind Sie dann?«
»Die Antwort wollen wir bis zu unserer Begegnung hinausschieben.«
»Was sind Sie dann?«
Ich hülle mich in Schweigen.
»Nun gut«, sagt er. »Ich erwarte Sie morgen nachmittag um vier Uhr.«
7
Ich kann mir immer noch nicht verzeihen, daß ich, ehe ich zu Tunjawski ging, nicht all seine wissenschaftlich-phantastischen Erzählungen gelesen habe. Dann wäre ich nicht in so eine dumme Situation geraten. Natürlich hätte ich die Dienste des Automaten, der den Inhalt der Bücher wiedergibt, in' Anspruch nehmen können. Aber ich glaube ihm nicht mehr, seit ich »David Copperfield« und die »Pickwickier« gelesen habe und sie anschließend mit der kurzen, humorlosen Fabel verglich, die mir der Automat übermittelt hatte. Ich erwähne Dickens' Werke nicht von ungefähr. Bei Tunjawski geriet ich buchstäblich in das stille und idyllische XIX. Jahrhundert. Aus einer seltsamen Laune heraus oder aus irgendeinem anderen Grunde hatte sich der Schriftsteller und Phantast in einem alten Hause niedergelassen, das eher einem Volkskundemuseum glich. Ich stieg zur zweiten Etage hinauf und klingelte. Es öffnete sich eine Tür, die nicht nur in die Wohnung, sondern auch in das Jahrhundert von Dickens führte. Gerade als ich eintrat, begann eine altertümliche Wanduhr zu schlagen. Sie schlug melodisch und langsam, so als zeige sie die Zeit nicht an, sondern bringe sie zurück.
»Ah, Nikolai«, sagte Tunjawski in einem Ton, als kenne er mich seit der Kindheit. »Setzen Sie sich. Rauchen Sie? Ich kann Ihnen eine ausgezeichnete Havanna anbieten.«
In seinem Zimmer standen lauter alte Möbel. Ich setzte mich in einen Sessel, der mich durch seine ungewohnte, zum Müßiggang einladende Weichheit etwas verwirrte. An der Wand hing ein Landschaftsbild, ebenfalls altertümlich und idyllisch, es lockte einen gleichsam in die Vergangenheit. Ich dachte: Na, du bist ja keineswegs der, für den ich dich gehalten habe. Du schreibst über die Zukunft, lebst aber in der Vergangenheit.
Tunjawski erriet meine Gedanken. Lächelnd sagte er: »In so einer stillen, provinziellen Atmosphäre kann man besser von der Zukunft träumen als in der Kabine eines Raumschiffes oder auf den unterirdischen Trassen, wo alles jagt und eilt. Kühne Träume benötigen den Kontrast.«
»Möglich«, antwortete ich.
Es trat eine Pause ein. Ich machte sie mir zunutze und fragte: »Was wissen Sie über die Dilnea?«
Er lachte laut auf. »Viel und wenig. Doch warum interessieren Sie sich so für einen ausgedachten Planeten?«
»Mit demselben Recht könnte ich von der Erde behaupten, daß sie eine Erfindung sei. Aber das würde nur derjenige für wahr halten, der sie noch nie gesehen hat.«
»Was wollen Sie damit sagen, Nikolai? Ich verstehe Sie nicht ganz. Die Erde kennen wir beide doch nicht aus wissenschaftlich-phantastischen Erzählungen, von der Dilnea dagegen haben Sie etwas erfahren, als Sie meine Erzählung ›Uära‹ lasen?«
»Uära? Haben Sie so
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