Das elfte Gebot
keine Zeit verschwenden. Normalerweise würde eine solche Situation auf lange Sicht die Leute unnötig auslaugen, doch für einen kurzen, intensiven Arbeitsaufenthalt konnte man es aushalten.
Ben deutete zu der legendären Halle der Geheimnisse hinüber. Es war ein Bauwerk am Kopf des Hauptgebäudes der Kathedrale, eine unerschöpfliche Quelle der wildesten Gerüchte, denn man sagte von ihr, sie enthalte alles, vom Geheimnis der Antigravitation über Sternenschiffe, die direkt zu den fernsten Sternen fliegen konnten, bis zu einem Fusionskraftwerk, so klein, daß man es in einer Armbanduhr unterbringen konnte. Die Erde war voller Träume, ihre Führungsrolle in der Technik zurückzuerlangen, und die meisten dieser Träume richteten sich auf diese Halle. Doch es war alles haltloser Humbug, da war er sicher.
Sämtliche Laboratorien waren mit Haustelefonen verbunden, um einen möglichst raschen Informationsaustausch zu gewährleisten. Am dritten Morgen summte dieses Telefon, und Boyd nahm den Hörer ab, um die erfreute Stimme von Markoff zu hören.
„Sie haben ein Kühlfach an Ihrem Mikroskop“, sagte er. „Wie schnell und über welchen Bereich können Sie die Temperatur kontrollieren?“
„Von flüssigem Wasserstoff bis Raumtemperatur in dreißig Sekunden“, antwortete Boyd. Die älteren Modelle, mit denen die anderen arbeiteten, hatten keine eigenen Kühlfächer; sie waren gezwungen, ihre Proben in speziellen Kühlkammern abzukühlen, und mußten dann eben rasch arbeiten, bevor die Isolation der Mikroskope nicht mehr ausreichte und die Proben wieder warm wurden.
„Ist es frei?“ Doch dann schien Markoff seine Meinung zu ändern. „Egal. Machen Sie es frei! Ich glaube, wir haben des Rätsels Lösung, und mit Ihrem Mikroskop können wir das am schnellsten nachprüfen.“
Bonaforte erschien in Begleitung Markoffs und eines kleinen Priesters namens Jiminez, der dem Labor permanent unterstellt war, gerade in jenem Moment, als Boyd sein eigenes Projekt beiseite geräumt und das Mikroskop vorbereitet hatte. Der Erzbischof übernahm die Kontrolle des Mikroskops, als Boyd kaum seine Erklärungen beendet hatte. Eine Sekunde lang schien ihm das verkehrt zu sein – Markoff war ein richtiger Wissenschaftler, er hätte die Tests durchführen sollen, dachte er. Dann sah er, wie die alten Hände Bonafortes die Proben nahmen, die Jiminez ihm gab, wonach er begann, die Kontrollen zu manipulieren.
Bonaforte war ein unglaublicher Meister! Die Meinung, daß er ein ausgezeichneter Zytologe war, stellte sich als durchaus richtig heraus; sie hatte nichts mit dem manchmal fragwürdigen legendären Ruf gemein, der eine große Persönlichkeit immer umgibt. Seine Geschicklichkeit stellte wirklich alles in den Schatten, was Boyd bisher gesehen hatte. Mit einer durch die fremdartigen Kontrollen verursachten ganz geringen Verzögerung stellte er die Vergrößerung auf einen mittleren Wert ein, brachte seine Probe gewandt in ihre Position und stellte den Fokus auf Nadelschärfe ein. Er hatte die Temperaturkontrolle noch nicht berührt, und das Mikroskop war also noch immer auf Zimmertemperatur eingestellt, nun aber führte er eine Temperatursenkung herbei und nickte zufrieden, als die Bewegungen der Zelle des Dinoflagellates mit sinkender Temperatur langsamer wurden.
Ganz sachte, unter Einsatz der feinsten Manipulatoren, führte er ein Virus an die Zelle heran. Dieses durchdrang die Zellmembran sofort und bewegte sich ohne Zögern auf den Nukleus zu. Ein weiteres Virus wurde herangeführt – doch das erste hatte irgendwie die Zellwand verändert, das zweite konnte ganz offensichtlich nicht eindringen.
Bonaforte hob den Vergrößerungsfaktor weiter an. Boyd registrierte bewundernd, daß er gleichzeitig die Temperatur noch etwas senkte, um die nun deutlicher wahrnehmbaren Zellbewegungen weiter zu verlangsamen. Nun konnte er die Verhaltensmuster des Virus im Zelleninneren studieren. Dieses machte sich sofort an die Aufgabe, die für ein Virus natürlich ist – es begann ein neues Virus aus den Nukleinsäuren der Zelle zu bilden. Doch der Pflanzenzelle schien dabei nichts Ernstes zuzustoßen. Das Virus schlüpfte hinaus in die Flüssigkeit, um sich nach einem neuen Wirt umzusehen, doch das Dinoflagellat existierte weiter, als sei nichts geschehen. Boyd rätselte darüber lange, bis er bemerkte, daß Bonaforte an einer neuen Probe arbeitete.
Dieses Mal manipulierte er zwei Viren zusammen an die Zellwand. Er hatte dazu die
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