Das Ende - Alten, S: Ende
es tropft vom Knochen!«
»Wie ist sein Blutdruck?«
»Neunzig zu sechzig.«
»Hast du dir den Arm in dem Feuer verbrannt?«
»Nein. Er fing an wehzutun, bevor die Hähne aufstanden, um gegen den Tag zu wettern.«
»Sag mir, was ich tun soll. Wie kann ich dir helfen?«
»Hol mir ein Schneidewerkzeug.«
»Du machst mir Angst. Lass mich unseren Sohn suchen …«
»Keine Zeit … Ahh!«
»Geben wir ihm noch eine Einheit Blut, bevor wir den Arm abnehmen. Schwester, seien Sie so gut und halten Sie dieses Röntgenbild hoch. Ich will gleich hier amputieren, direkt unterhalb der Insertion an der Bizepssehne.«
Der mürrische alte Mann brach zusammen. Sein Weib kniete sich in der schwankenden Dunkelheit neben ihn, die kratzenden Geräusche wurden lauter. »Sprich mit mir! Bitte, mein Lieber … Wach auf!«
»Doktor, er ist wach.«
Als der Soldat die Augen öffnete, sah er helle Lichter und maskierte, in Operationskittel gehüllte Fremde. Der Schmerz war kaum auszuhalten, sein linker Arm übel zugerichtetes Fleisch; die Qualen wetteiferten mit den pochenden Schmerzen in seinem lädierten Schädel.
Das Betäubungsmittel umspülte kühl seine Nervenenden. Die Panik erstickte, er schloss die Augen und sank in Schlaf.
Vom anderen Ende des Bagdader Operationssaals starrte der Sensenmann den verschmutzten amerikanischen Soldaten an wie ein alter Freund – und wartete.
TEIL 1
DUNKELHEIT
»Das Böse existiert nicht (…). Oder wenigstens nicht aus sich selbst. Das Böse ist schlicht die Abwesenheit Gottes, ist (…) ein Begriff, den der Mensch erfunden hat, um diese Abwesenheit Gottes zu beschreiben. Gott hat nicht das Böse geschaffen. Es verhält sich damit nicht wie mit dem Glauben oder der Liebe, die existieren wie die Wärme oder das Licht. Das Böse ist das Ergebnis dessen, dass der Mensch Gott nicht in seinem Herzen gegenwärtig hat. So wie er es kalt empfindet, wenn Wärme fehlt, oder dunkel, wenn kein Licht da ist.«
ALBERT EINSTEIN
JULI
Fort Detrick, Frederick, Maryland
7:12 Uhr
Irgendwo in der Sackgasse wird die Trübheit des Morgens durch die Hydraulik eines Müllwagens entweiht. Ein Hund antwortet auf den Lärm von einer rundum verglasten Veranda aus. Ein Schulbus, der Camper zur örtlichen Jugendherberge befördert, passiert mit rülpsendem Auspuff die Ringstraße.
In dem Haus ohne Kinder am Ende des Blocks schnarcht die Frau mit den kandisapfelroten Haaren leise in ein Daunenkissen. Ihr Unterbewusstsein lehnt es ab, sich von dem erwachenden Viertel stören zu lassen. Ihre Blase kribbelt, trotzdem schläft sie noch eine Weile.
Mary Klipot klammert sich an den Traum, wie ein Nichtschwimmer sich in stürmischer See an ein gekentertes Boot klammert.
In ihrem Traum ist die Leere verschwunden. In ihrem Traum ist ihr Vater kein namenloser Kerl, und ihre drogensüchtige Mutter bereut, dass sie ihr Kind ausgesetzt hat. In ihrem Traum gibt es ein Zuhause und ein warmes Bett. Kekse mit Schokoladensplittern und Gutenachtküsse, die nicht nach Tabak schmecken. Die Luft ist süß wie Flieder, und die Wände sind von einem heiteren Weiß. Es gibt private Toiletten und Duschen und Lehrerinnen, die keine Nonnen sind. Es gibt keinen schallisolierten
Raum an Mittwoch- und Samstagvormittagen, keine Lederriemen und Weihwasserspritzer und ganz bestimmt keinen Pater Santaromita.
In ihrem Traum ist Mary nicht außergewöhnlich.
Die außergewöhnliche Mary. Die Waise mit dem hohen IQ. Intelligent, aber gefährlich. Satan ist die winzige Stimme in deinem Kopf, die sagt: Zünde die Katze an, es wird Spaß machen. Spring vom Fenstersims, du kannst überleben. Gott ist abwesend in diesen Momenten. Der Arzt mit dem kalten Stethoskop gibt dem Ganzen einen Namen – Schläfenlappenepilepsie – und bietet ihr ein Medikament an.
Pater Santaromita weiß es besser. Die wöchentlichen Exorzismen dauern bis zu ihrem achten Geburtstag.
Sie nimmt die Medikamente. Der im Zaum gehaltene IQ macht sich bezahlt. Auszeichnungen der Konfessionsschule. Ein Hochschul-Stipendium. Abschlüsse in Mikrobiologie von der Emory und der Johns Hopkins. Die Zukunft sieht golden aus.
Natürlich gibt es »andere« Herausforderungen. Partys und gemischte Schulen. Bier und Drogen. Die introvertierte Rothaarige mit den harten haselnussbraunen Augen mag nuttig süß aussehen, aber sie macht nicht die Beine breit. Die außergewöhnliche Mary wird als Jungfrau Maria stigmatisiert. Die Keuschheit stempelt sie als Ausgestoßene ab. Komm schon,
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