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Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft

Titel: Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schaar
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dominierten ererbte, rollenbezogene Zuordnungen. Mit dem Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft verschwanden natürlich nicht die klassen- bzw. rollenspezifischen Unterschiede, aber ihre Ausdrucksformen änderten sich. Das von der Französischen Revolution 1789 proklamierte Gleichheitsideal war zugleich ein Abschied von der Vorstellung einer gottgegebenen, öffentlich inszenierten »ewigen« Rollenverteilung. Insbesondere beim Bürgertum wuchs der Wunsch, die individuellen Verhältnisse und Vorlieben der öffentlichen Wahrnehmung zu entziehen, vor allem um geschäftliche Entscheidungen ungestört von Einblicken Dritter vorzubereiten. Darin zeigt sich eine wesentliche Funktion von Privatheit: In einer von individuellen Entscheidungen geprägten Gesellschaft muss die Privatsphäre gegen Einblicke Dritter geschützt werden, damit das individuelle öffentliche Handeln überhaupt möglich ist. 4
    Der Presse kam bei der Herausbildung der modernen Öffentlichkeit entscheidende Bedeutung zu. Informationen wurden durch Zeitungen wesentlich schneller, weiter und weniger kontrollierbar verbreitet als durch mündliche Überlieferung oder über direkte Briefkontakte. Damit vergrößerte sich auch die Reichweite von Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit wurde sowohl sozial als auch geografisch entgrenzt, denn die Informationen standen einem immer breiteren Publikum zur Verfügung – über die lokalen oder regionalen Grenzen hinaus. Damit konnte der Einzelne die Verbreitung der auf ihn bezogenen Informationen nicht mehr kontrollieren.
    Das autonome Individuum, das Ideal der bürgerlichen Gesellschaft, brauchte gerade angesichts der verbesserten Kommunikationsmittel einen privaten Raum, in dem es sich frei von Beobachtung bewegen und informieren, kommunizieren und Entscheidungen treffen konnte, ohne gegenüber der Öffentlichkeit rechenschaftspflichtig zu sein. Je »öffentlicher« die Öffentlichkeit wurde, je größer also der Radius der veröffentlichten Informationen wurde, desto dringender wurde der Schutz der Privatheit.
    Seit Mitte des 20. Jahrhunderts haben die Veränderungen der Massenmedien das Verhältnis von privater und öffentlicher Sphäre in dramatischer Weise verschoben und die Grenze zwischen öffentlichem und privatem Verhalten immer undeutlicher werden lassen. Indem die Medien vorzugsweise über persönliche Angelegenheiten berichten, bewirken sie einen Verlust von Privatheit. Dies betrifft vor allem diejenigen, die ohnehin ein hohes Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit genießen, also Prominente aus Politik, Showbusiness und Sport. Viele Vertreter aus diesen Bereichen nutzen die neuen Möglichkeiten sogar für eigene Zwecke aus, etwa durch »Homestories« oder bei der öffentlichen Inszenierung privater Ereignisse wie Hochzeit, Schwangerschaft, Krankheit, Scheidung und Tod. Aber auch Nichtprominenten wird eine Bühne geboten, sei es in Talkshows, bei denen der Peinlichkeitsgrad der Teilnehmer das entscheidende Auswahlkriterium zu sein scheint, sei es im »Reality TV«, das sich bezeichnenderweise selbst mit dem Begriff »Big Brother« schmückt.
    Die neuen Formen öffentlicher Darstellung lassen nicht nur die Privatsphäre der davon Betroffenen verschwinden. Vielmehr wird auch durch die gängige Berichterstattung über Privatangelegenheiten die durch die Medien stark geprägte Öffentlichkeit banalisiert und entpolitisiert. So gerät das private Verhalten von Politikern immer öfter ins Blickfeld der Öffentlichkeit und wird bisweilen detaillierter beobachtet und ausgebreitet als ihr öffentliches Handeln als Abgeordnete oder Minister. In den USA wurde eine von Präsident Clinton nominierte Generalstaatsanwältin deshalb nicht vom Kongress bestätigt, weil sie einige Jahre vorher eine illegale Einwanderin als Kindermädchen beschäftigt hatte. Derselbe US-Präsident entging nur knapp der Amtsenthebung aufgrund eines Techtelmechtels mit einer Praktikantin. In Schweden musste eine Ministerin zurücktreten, weil sie die Rundfunkgebühren nicht bezahlt hatte. In die gleiche Richtung weist, dass in Deutschland in manchen Medien über die Frisur der Bundeskanzlerin ausführlicher berichtet wird als über ihre Politik.
    Ganz allgemein lässt sich feststellen, dass Privatangelegenheiten heute weitaus freizügiger öffentlich gemacht werden – bis hin zu intimen Details, deren Erörterung in früheren Zeiten selbst im privaten Kreis weitgehend tabu war. Auch bei der Benutzung von Mobiltelefonen, Laptops und ähnlichen

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