Hutch 05 - Odyssee
Prolog
Normalerweise hätte Jerry Cavanaugh in seiner Kabine geschlafen, während die KI das Schiff näher an Sungrazer, einen Gasriesen nahe Beta Comae Berenices, heranmanövriert hätte. Eine brennende Welt, wie die Public-Relations-Leute Sungrazer gern beschrieben. Und es war unbestreitbar ein spektakulärer Anblick. Dieser Flug war bereits Cavanaughs achtundachtzigster Besuch, und dennoch wurde er es nie müde, diesen Gasriesen zu betrachten.
Sungrazer war ein jovianischer Planet mit der vierfachen Masse des Jupiter. Er lag auf einem engen Orbit, der ihn buchstäblich durch die Solaratmosphäre hindurchführte, wo er brannte und flammte wie ein Meteor. Jerry wunderte sich darüber, dass das Ding nicht einfach explodierte, es sich nicht in Asche verwandelte; aber jedes Mal, wenn er wieder hierherkam, war der Planet immer noch da, pflügte immer noch durch die solare Hölle und war immer noch intakt. Der ultimative Überlebenskünstler.
Sungrazer umkreiste die Sonne in drei Tagen und sieben Stunden. Wenn man sich im richtigen Winkel näherte, so nämlich, dass hinter dem Planeten nur schwarzer Himmel war, war der Anblick noch beeindruckender. Natürlich war es nicht dasselbe, sich den Gasriesen auf den Schiffsmonitoren anzusehen, wenn man den Anblick stattdessen direkt von Bord eines Schiffs aus, durch dessen Luken nämlich, hätte genießen können. Um jedoch die Art von Ausblick zu garantieren, der vom Management gewünscht wurde und Orion Tours zu seinem legendären Ruf verholfen hatte, hätte die Ranger viel näher an die Sonne heranfliegen müssen, so nahe, dass es auch hätte gefährlich werden können. Stattdessen legte Jerry Cavanaugh, wenn die Stunde in all ihrer Dramatik nahte, den Sungrazer-Chip in das Lesegerät ein, während die Leute durch die Sichtscheiben schauten und Bilder sahen, die von einem Satelliten stammten. Das Bildmaterial war atemberaubend und natürlich schon ein bisschen so etwas wie ein Betrug, aber wen interessierte das schon? Orion machte kein Geheimnis aus seiner Vorgehensweise. Gelegentlich fragte einer der Passagiere nach, und Jerry erklärte jedes Mal, nun ja, die Bilder entsprächen nicht ganz dem, was man von der Brücke aus und durch die Schiffsteleskope sehen könne. Zu gefährlich. Aber es sei das, was man zu Gesicht bekäme, könnte die Ranger ausreichend nahe heran. Aber das würden Sie doch bestimmt nicht wollen, oder doch?
Natürlich nicht, lautete die immer gleiche Antwort.
Eine Frage dieser Art würde Jerry jedoch gewiss nicht vor morgen Vormittag zu hören bekommen, wenn sie den nächsten Tour-Punkt erreicht hätten. Die Tour war so berechnet, dass die visuelle Umstellung im Lauf der Nacht stattfinden konnte, während die Passagiere - normalerweise - in ihren Kabinen schliefen. Wenn sie dann etwa gegen sieben allmählich erwachten, war das Erste, was sie zu sehen bekamen, Sungrazer, und das war vermutlich der aufregendste Moment der ganzen Reise.
Die Ranger hatte sechsunddreißig Passagiere an Bord, eine volle Ladung, unter ihnen drei Paare in den Flitterwochen, einen Geistlichen, der sein ganzes Leben für diese Reise gespart hatte, die Gewinnerin eines Preisausschreibens und zwei Ärzte. Die Gewinnerin des Preisausschreibens war eine junge Frau aus Istanbul, die ihr Heimatland zuvor noch nie verlassen hatte. Was für ein Preisausschreiben es gewesen war, das der jungen Frau diese Reise beschert hatte, wusste Jerry nicht genau, und seine Fremdsprachenkenntnisse reichten nicht aus, um Näheres in Erfahrung zu bringen. Aber die junge Frau saß während der ganzen Zeit der Annäherung an den Planeten mit großen Augen vor dem Hauptmonitor.
Jerry hatte schon auf früheren Flügen schlaflose Nächte überstehen müssen. Er hatte sich stets geweigert, etwas dagegen zu unternehmen, aber seine Schlafprobleme hatten sich verschlimmert. In dieser letzten Nacht vor dem Heimflug hatte er überhaupt nicht geschlafen, also hatte er sich angezogen und war auf die Brücke gegangen, wo er nun saß und ruhelos in der Bibliothek stöberte. Die KI schwieg. Die Navigationsschirme lieferten ihm mehrere Großaufnahmen der Sonne und des Gasriesen.
Aus einer der Kabinen vernahm er gedämpfte Stimmen. Dann war es wieder still auf dem Schiff, abgesehen von dem Rauschen der Lüftung und dem Summen der Elektronik.
Dies sollte sein letzter Flug vor dem Ruhestand sein. Die Kinder waren erwachsen und gingen ihrer eigenen Wege, also hatten Mara und er sich überlegt, sie
Weitere Kostenlose Bücher