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Das Engelsgrab

Das Engelsgrab

Titel: Das Engelsgrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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nur ein sehr laues Lüftchen entgegen, das Toby nicht störte.
    Er hatte sich lange genug ausgeruht und ging. Zuvor aber hob er wie eine ferngelenkte Marionette seine Arme an und streckte sie nach vorn.
    So hatte er die Haltung eines Blinden eingenommen, der sich seinen Weg ertasten wollte.
    Hindernisse gab es für Toby auf diesem Dach nicht. Der Kamin lag hinter seinem Rücken, und nach vorn hin war alles frei. Die einzige Schwierigkeit lag unter seinen Füßen, denn er musste über den schmalen Sims gehen und durfte auf keinen Fall ausrutschen, denn dann wäre er nicht nur über die Schräge gerollt, sondern auch über die Dachrinne hinweg und in die Tiefe gefallen.
    Bisher war bei seinen nächtlichen Ausflügen alles glatt verlaufen. Eine Brücke wollte Toby darauf nicht bauen, und so balancierte er vor, dem seitlichen Dachrand entgegen und damit auch dem Nachbarhaus, dessen Dach tiefer lag, weil ein halbes Geschoss in der Höhe fehlte. Wenn Toby nicht zuvor stoppte, würde er fallen. Hatte er dabei Pech, konnte er sich schon etwas brechen, aber daran dachte der langsam gehende Junge mit den vorgestreckten Händen nicht.
    Er glich in dieser Phase seines Schlafwandelns tatsächlich dem Bild, das man sich von einem derartigen Menschen macht, der, ohne es zu wissen, in der Nacht unterwegs ist. Toby ging einfach wie von unsichtbaren Händen geleitet. Er setzte einen Fuß vor den anderen, und sein Körper schwankte kaum.
    Der Rand des Daches rückte näher. Toby blieb auf seinem Weg.
    Niemand warnte ihn, niemand stellte sich ihm in den Weg. Es gab keine innere Stimme, die ihn vor einem Weitergehen abriet.
    Tobys Gesicht war zwar starr, trotzdem nicht ohne Ausdruck, denn auf seinen Zügen breitete sich ein feines Lächeln aus, und das Licht des Mondes begleitete ihn wie ein Schutz. Er befand sich in einem Zustand, in dem er weder Bedrückung noch Angst empfand. Er verließ sich voll und ganz auf sich und auf die Kräfte des Erdtrabanten.
    Er trat bei jedem Schritt leise auf. Die Turnschuhe dämpften die Laute beinahe bis zur Bedeutungslosigkeit. Selbst Tauben, die auf der linken Dachhälfte schliefen, wurden nicht durch den Jungen gestört. Alles ging so glatt, wie geübt.
    Aber die Gefahr rückte näher!
    Toby Cramer sah sie nicht. Wie auch, denn er hielt die Augen geschlossen. Die Arme erlahmten auch nicht; nach wie vor hatte er sie ausgestreckt, ebenso die Hände.
    Zwei Meter, mehr waren es nicht mehr. Toby ging weiter. Die Distanz verkürzte sich. Nur noch ein Meter im Höchstfall. Der Junge ging den nächsten Schritt. Dann noch einen, der kleiner war. Jetzt gab es keine Rettung mehr für ihn. Es sei denn, er blieb genau in diesem Moment stehen.
    Das tat er nicht. Das linke Bein hob er zuerst an, um weiterzugehen.
    Den Fuß drückte er nach vorn, und der Schuh schwebte bereits über dem Abgrund, der Körper befand sich in der Kippbewegung. Niemand war da, um den Jungen noch zurückzureißen. Er würde bäuchlings in die Tiefe fallen und mit dem Gesicht zuerst auf den First des unter ihm liegenden Daches aufschlagen, bevor er über die linke oder rechte Schräge hinweg in die Tiefe rollte. Keine Hilfe!
    Tatsächlich nicht?
    Plötzlich war die Gestalt da. Strahlend und ätherisch schön schwebte sie vor dem Jungen, der genau in diesem Moment beide Augen aufriss…
    ***
    Sie ist wieder da, dachte Toby Cramer, der übergangslos erwacht war, sich aber trotzdem noch in einem so anderen Zustand befand. Er war nicht mit dem am Morgen zu vergleichen, wenn seine Mutter ihn weckte und ihn aus dem Bett holte.
    Zwar war er auch hier nicht richtig wach, ein Vergleich ließ sich nicht herbeiholen. Er schaute auf die Gestalt. Ja, er kannte sie.
    Wieder wurde sie von diesem wunderschönen und weichen Licht umspielt wie von einem dünnen Mantel. Sie war so herrlich, engelhaft, zugleich ein Geistwesen, ätherisch, weit entfernt und trotzdem so wunderbar nah, denn sie hatte eine Hand ausgestreckt, als wollte sie den Jungen aufhalten, wobei es schon geschehen war, denn Toby stand auf der Stelle, das linke Bein noch über die Dachkante hinweggedrückt, aber er bewegte sich nicht mehr.
    Sein Retter hielt ihn. Oder war es eine Retterin?
    Er wusste es nicht genau zu sagen, obwohl sich zwei frauliche Brüste an ihrem Körper abzeichneten. Der Junge sah sogar die Schatten am Rücken der Gestalt und konnte sich vorstellen, dass dies ein Engel mit Flügeln war, wie er ihn in seinen Büchern oft als Abbildung gesehen hatte.
    Seine Retterin stand

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