Das Engelsgrab
sein konnten.
Es war seine Welt. Dort gehörte er hin. Die Sphäre der Geister, der reinen Kraft, und nur ab und zu verließen er und seine Artgenossen dieses Reich, um sich den Menschen zu widmen, wenn sie in Gefahr schwebten. Jeder Mensch hat seinen Schutzengel. Nur wollten die wenigsten daran glauben, und das stimmte die Engel traurig.
Anders als die Erwachsenen reagierten die Kinder. Sie hatten sich noch ihren Glauben an die Engel bewahrt, und auf die versuchten die Geschöpfe besonders zu achten.
Aber zu wenig, das wussten sie auch. Noch immer wurden Kinder in dieser Welt gequält, missbraucht und getötet. Dagegen konnten auch die Engel nichts ausrichten, denn sie trugen für die Menschen nicht die Verantwortung. Die Erwachsenen sollten sehen, wie sie mit ihren Problemen fertig wurden, bei den Kindern ging das noch nicht.
Immer wieder schlug man gerade auf die schwächsten der Schwachen ein. Grauenvolle, fast unaussprechliche Dinge passierten mit ihnen, so dass auch die Engel nahe an den Rand der Verzweiflung gerieten, weil sie nicht helfen konnten.
Noch eine Gefahr kam hinzu. Es gab noch eine andere Seite, in der sich das Böse manifestiert hatte. All die unzähligen Dämonen und Teufel waren dafür, dass sich die Menschen immer stärker zum Bösen hin veränderten und auch nicht davon abließen, Kinder zu quälen und zu töten. Ihnen kam es sehr gelegen, denn sie wollten nichts anderes als das Chaos, und wer sich ihnen dabei in den Weg stellte, musste vernichtet werden.
Die Schutzengel gehörten dazu. Und sie waren beinahe hilflos, wenn sie ihre schützende Sphäre verlassen hatten und sich dabei auf der Erde aufhielten. Dann waren ihnen die Diener des Bösen auf den Fersen.
Dann versuchten sie, die Engel zu töten, sie zu vernichten, um sie zu reduzieren.
Einer von ihnen war besonders schlimm. Ein uralter Engel, den es schon seit Urzeiten gab, und der Luzifer sehr nahe gestanden hatte. Er hieß Belial, und er war der Engel der Lügen!
Ihn hatte Luzifer als Jäger geschickt, und er war es, der die Schutzengel auf Erden vernichten wollte. Der sie tötete und ihnen damit eine bestimmte Eigenschaft raubte. Sie würden im Tod ihre Feinstofflichkeit verlieren und wie normale Menschen irgendwo liegen und von anderen Menschen gefunden werden.
Der Engel wusste, dass er seinem Häscher nicht entwischen konnte.
Zu lange schon war er ihm auf der Spur gewesen, und in dieser Nacht sollte der Engel endgültig sterben. Noch einmal hatte er seinen Schützling vor dem Tod bewahren können, das war nun vorbei, denn es gab keinen Helfer, der ihm zur Seite gestanden hätte.
Er würde sterben, aber es sollte an einem Ort geschehen, den er sich ausgesucht hatte. Auf dem Friedhof der Gerechten, der unschuldig Gestorbenen und der Kinder. Es gab ihn noch, aber er war bei den normalen Menschen längst in Vergessenheit geraten, weil auf ihm keine Bestattungen mehr stattfanden. Nur wenige besuchten ihn noch, und wenn, dann durchfuhren zumeist Radfahrer das nicht mehr gepflegte Gelände, auf dem sich die Natur hatte ausbreiten können.
Und so schwebte der Schutzengel seinem Ziel und somit dem Ort des Sterbens entgegen. Unter ihm waren die meisten Lichter der Stadt verschwunden. Er flog durch die Finsternis und war höchstens als ein heller, verschwommener Fleck zu sehen gewesen, hätte jemand in den dunklen Himmel geschaut. Hier war die Dunkelheit tief. Auch die wenigen Sterne am Himmel änderten daran nichts.
Sein Ziel war der Friedhof. Von der Position des Engels aus war auch er nicht zu sehen, denn die Nacht lag über ihm wie eine dichte Platte.
Auf dem Gelände schimmerte kein Licht, und die Gräber waren wie unter einem Vorhang verschwunden.
Die Gestalt ließ sich fallen. Ein schwaches Licht segelte nach unten.
Ein Streifen, wie ein Stück mit Licht erfüllter Nebel. Der Schutzengel sah auch in der Nacht. Er hielt den Kopf gesenkt und ließ seine Blicke über die Gräber schweifen, die für ihn unsichtbar waren. Die meisten lagen unter den Kronen der Bäume verborgen. Nur einige wenige waren frei zu erkennen. Da gab es kleine und große Grabstätten, schlichtere und auch protzige. Kein Grab war neu. Auf den Steinen und Kreuzen hatte die Zeit eine Schicht aus Moos und anderem Bewuchs hinterlassen. Die in den Stein eingemeißelten Schriften waren nicht mehr zu lesen.
Der zum Sterben bereite Schutzengel schwebte jetzt dicht über den Baumkronen hinweg. Er war nicht zu hören, trotz der seltsamen Gebilde, die aus
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