Das Engelsgrab
etwas über ihr Alter sagen können. Sie waren einfach da, und sie blieben es auch weiterhin.
Bis zum bitteren Ende…
Angst verspürte der Engel nur indirekt. Nicht einmal um sich. Er wusste ja, dass sein Schicksal besiegelt war. Seine Gedanken kreisten nur um Toby Cramer, den er so gern beschützt hätte. Er war ihm ein guter Schutzengel gewesen, denn Toby, der Schlafwandler, hatte all seine nächtlichen Vollmond-Ausflüge stets gut überstanden, auch dank seines wunderbaren Schutzengels.
Das Böse war da! Ein Mensch hätte vielleicht gezittert, als er dies merkte. Der Engel reagierte anders. Plötzlich veränderte sich die Lichtaura um seinen Körper. An gewissen Stellen zuckte sie auf, fiel wieder zusammen. Kleine Blitze schlugen durch das Licht, dann war sie wieder entstanden, aber schwächer als zuvor.
Der Duft hatte sich verstärkt. Bei einem Menschen wäre es der Angstschweiß gewesen, doch ein Engel reagierte eben anders. Er sonderte seinen eigenen Duft ab.
Er fühlte sich sehr einsam und allein. Trauer durchflutete ihn. In seinem Gesicht zuckte es einige Male, und er drehte den Kopf.
Wo lauerte sein Mörder? Verstecke gab es genug. Er konnte sich hinter den zahlreichen Grabsteinen zusammenducken. Er konnte den natürlichen Schutz als Deckung suchen und aus sicherer Entfernung beobachten.
Das alles traf nicht zu. Belial trat offen auf den Schutzengel zu. Er war zu sehen, denn er kam von vorn. Er schritt aufrecht. Wurde der auf dem Grab wartende Engel noch von einem Lichtschutz umgeben, so war Belial ein Geschöpf der Finsternis.
Er bewegte sich lautlos. Er schien eingepackt zu sein in eine mächtige Wolke aus der absoluten Dunkelheit, denn er war nur schwerlich zu erkennen.
Dafür bewegte sich das Dunkle, das Böse und Drohende über den Friedhof. Wie Eis in einer anderen Form. So grauenhaft, ohne Gefühl für den anderen, abgrundtief böse, als wollte diese Gestalt die Zehn Gebote ad absurdum führen.
Es war Belial, da kannte sich der Engel aus. Er blieb dort stehen, wo eine Wand aus Gestrüpp oder Büschen in die Höhe wuchs. Dabei malte er sich nicht konturenscharf ab. Er blieb einfach dieser Flecken Dunkel auf dem düsteren Friedhof.
Er tat nichts. Der Schutzengel wusste, dass ihn Belial nicht aus der Kontrolle ließ. Der Blick war auf ihn gerichtet, und er fragte sich, wie er sich fühlen sollte.
Dabei dachte er daran, dass Menschen Todesangst bekamen. Das war bei ihm nicht der Fall. Er hatte sich lange genug auf das Sterben vorbereiten können.
Belial, Engel der Lügen, nahm Kontakt auf. Er sprach nicht. Er schickte ihm nur seine Gedanken, die der Schutzengel auffing. »Dein Weg ist beendet. Du kommst nicht mehr weg. Das hier ist der richtige Ort für deinen Tod.«
»Ich weiß.«
»Zitterst du?«
»Nein.«
Belial lachte leise. »Ich weiß, dass du nicht zitterst. Nicht um dich, nur um denjenigen, den du beschützt hast. Aber das ist vorbei. Ich werde ihn mir holen.«
Er hatte seinen Spaß, und der Engel wusste es. Seine Lage kam ihm so schrecklich deprimierend vor. Nicht weil er sterben würde, da waren die Fronten schon klar. Es ging ihm nur um die Menschen und…
Belial bewegte sich. Oder hatte sich bewegt. Etwas hatte für einen Moment hell innerhalb der tiefen Dunkelheit geschimmert. Ein heller, goldener Reflex, nichts anderes war es, aber der Schutzengel wusste Bescheid. Belial bereitete seinen Tod vor.
Ein Fluchtversuch hätte nichts gebracht. Er war immer schneller. Der Antrieb des Bösen ließ sich einfach nicht stoppen. Nicht mit normalen Mitteln.
Der Schutzengel spürte das Kreuz im Rücken. Es war ein Symbol der Hoffnung, doch nicht für ihn. Über so etwas setzten sich seine Feinde einfach hinweg, und wieder bewegte sich etwas im Zentrum der dichten Wolke.
Der goldene Reflex entstand für einen winzigen Augenblick. Noch in der gleichen Sekunde schwirrte etwas auf den Schutzengel zu. Ein längerer Gegenstand, leicht glänzend, unheimlich schnell und treffsicher. Der Engel spürte den Einschlag in der Schulter. Links oben, noch über der Stelle, an der normalerweise das Herz eines Menschen schlägt, was bei ihm nicht der Fall war.
Der Schmerz war da. Er fraß sich durch die Schulter, als wollte er das, was in ihr steckte, gnadenlos zerstören. Er hatte auch die Aura durchdrungen, und es war ihm sogar gelungen, sie teilweise zu vernichten.
Aus der Wolke hörte er das Lachen. Der Lügenengel hatte seinen großen Spaß. Er wollte alles vernichten, was nicht zu ihm
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