Das entschwundene Land
so eine große Landwirtschaft erforderte? Nein, daran war gar nicht zu denken!
Da wurde Samuel August sehr betrübt.
» Ihr, Mutter, Ihr wißt nicht, wie es tut, anderswo zu dienen«, sagte er bitter, denn nun mußte er ja alle Hoffnung fahren lassen, dem Knechtsdasein zu entrinnen und für das eigene Säckel zu arbeiten – soweit bei einer Pacht von einem eigenen Säckel überhaupt die Rede sein konnte.
»Was der Jung da gesagt hat, das ging mir durch und durch«, sagte Ida von Sevedstorp, meine Großmutter, später immer, wenn sie von diesem denkwürdigen Samstagabend erzählte. Und nachdem Samuel Augusts Vater am Sonntag morgen aufgewacht war, berichtete sie ihm von dem abenteuerlichen Vorschlag, mit dem der Sohn gekommen war. Gemeinsam beschlossen sie, daß Ida ihren Vater, Anders Petter lngström aufTjurstorp, aufsuchen solle, um sich mit ihm zu beraten. Er war weit und breit als tüchtiger und unternehmungslustiger Bauer bekannt. Aber ein strenger Vater war er gewesen, wenn es darum ging, seine vielen Kinder zur Arbeit anzuhalten.
»Drisch du man, Mädchen, bist ja krä ftig genug«, sagte er zu Ida, als sie mit sechzehn Jahren auf der Tenne stand und den Dreschflegel schwang. »Das schaffst du schon«, sagte er, wenn er sie auf die Äcker schickte, wo sie die Steine wegzuschleppen und zur Einfriedung aufzustapeln hatte, so daß sie abends nach getaner Arbeit auf dem Heimweg nur so wankte und sich stützen mußte. Nicht zuletzt, um dieser erbarmungslosen Schinderei daheim zu entgehen, hatte sie schon mit achtzehn Jahren geheiratet. Ein leichtes Leben tauschte sie freilich nicht dafür ein, sieben Kinder mußte sie gebären und aufziehen, und die meisten Stunden des Tages hatte sie genausoviel zu schuften wie zuvor. Daß sie an diesem Samstag mitten in der Nacht auf den Knien lag und die Küchendielen scheuerte, war wahrha ftig nichts Besonderes.
»Wenn der Jung es will, daß ihr Näs nehmt, dann tut das nur«, sagte Anders Petter, als seine Tochter ihn um Rat fragte.
Nun war es keineswegs so, einfach »Näs zu nehmen«. Da gab es viele, die das wollten. Propst Blidberg konnte sich seinen Pächter aussuchen. Glücklicherweise aber m u ßte er als Pfarrer von Vimmerby hin und wieder auch in Pelarne, seiner Tochtergemeinde, predigen, und so kam es, daß er eines Sonntags nach dem Gottesdienst auf dem Kirchplatz in Pelarne stand und mit seinen Pfarrkindern plauderte. Und da ergriff Propst Blidberg die Gelegenheit, sich zu erkundigen, was dieser Samuel Johan Eriksson von Sevedstorp eigentlich f ü r ein Mensch sei, dieser Häusler, der sich unter vielen anderen um die Pfarrhofspacht beworben hatte. Der Hauptlehrer erklärte sofort, nein, das ginge niemals gut! Samuel von Sevedstorp sei viel zu weich und gutmütig, um ein Gesinde so anzupacken, wie es nötig sei, wolle man Näs bewirtschaften. Aber neben dem Hauptlehrer stand der Kirchenälteste Jonas Petter Jonsson von Hult, der Vater des Mädchens mit den Stirnfransen, der selber ein sanfter und freundlicher Mann war, und er legte jetzt f ü r Samuel Eriksson von Sevedstorp ein gutes Wort ein. -»Solchen, die ihre Leute gut behandeln, glückt's drum nicht schlechter«, sagte er.
Diese Worte, die mein Großvater mütterlicherseits damals sprach, um meinem Großvater väterlicherseits den Rücken zu stärken, taten ihre Wirkung. Propst Blidberg wünschte sich offenbar einen freundlichen und gutmütigen Pächter. Er entschied sich für Samuel Johan Eriksson.
Und am 30. April 1895 zogen zwei Ochsenkarren von Sevedstorp los, beladen mit allem, was die Sevedshäusler in dieser Welt besaßen, viel war es nicht. Der Tag war unnatürlich warm, die Ochsen keuchten in der Hitze, doch gegen Abend wurde es kühler, und da war man in Näs angelangt.
Samuel August, der Zwanzigjährige, war vielleicht von allen der Froheste. Schließlich war er es ja gewesen, der dies mit seiner Barfußhumpelei zustande gebracht hatte. Jetzt hatte er den Platz auf Erden erreicht, wo er leben und sterben sollte – aber das wußte er natürlich noch nicht.
Ja, Samuel August war nach Näs gekommen.
»So will ich denn zunächst mit einigen wenigen Strichen die auf dem Lande gelegene Pfarrei skizzieren, deren rotgetünchtes Wohnhaus so friedlich unter den von freundlicher Hand rings um den Hof gepflanzten Kastanien, Ulmen und Linden lag, der auf drei Seiten von Obst- und Küchengärten umgeben war. Das Haus war niedrig und enthielt nur die drei Kammern sowie Wohnstube nebst Küche, die
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