Das Erbe der Elfen
nennst du mich Eulchen! Du weißt, dass mir das ganz und gar nicht gefällt. Warum tust du es?«
»Weil ich boshaft bin. Zauberinnen sind immer boshaft.«
»Aber ich will ... will kein hässliches Eulchen sein. Ich möchte hübsch sein. Richtig hübsch, so wie du, Frau Yennefer. Kann ich mit Magie eines Tages so schön werden wie du?«
»Du ... brauchst das zum Glück nicht ... Du brauchst dazu keine Magie. Du weißt gar nicht, was das für ein Glück ist.«
»Aber ich möchte wirklich hübsch sein!«
»Du bist wirklich hübsch. Ein wirklich hübsches Eulchen. Mein hübsches Eulchen ...«
»Och, Frau Yennefer!«
»Ciri, du machst mir einen blauen Fleck am Bein.«
»Frau Yennefer?«
»Ja?«
»Worauf schaust du so?«
»Auf den Baum dort. Das ist eine Linde.«
»Und was ist daran so interessant?«
»Nichts. Ich erfreue mich einfach an ihrem Anblick. Ich freue mich, dass ... ich sie sehen kann.«
»Ich verstehe nicht.«
»Das ist gut.«
Stille. Schweigen. Schwüle.
»Frau Yennefer!«
»Was ist nun wieder?«
»Eine Spinne geht auf dein Bein zu! Schau, wie hässlich sie ist!«
»Eine Spinne wie jede andere.«
»Mach sie tot!«
»Ich habe keine Lust, mich zu bücken.«
»Dann töte sie mit einem Zauberspruch!«
»Auf dem Gelände des Tempels der Melitele? Damit Nenneke uns beide in hohem Bogen hinauswirft? Nein, danke. Und jetzt sei still. Ich will nachdenken.«
»Und worüber denkst du so angestrengt nach? Hmm. Schon gut, ich bin schon still.«
»Ciri, welch eine Überraschung! Ich habe schon gefürchtet, du würdest mir eine von deinen unvergleichlichen Fragen stellen.«
»Warum nicht? Ich mag deine unvergleichlichen Antworten!«
»Du wirst dreist, Eulchen.«
»Ich bin eine Zauberin. Zauberinnen sind boshaft und dreist.«
Schweigen. Stille. Kein Lufthauch. Schwül wie vor einem Gewitter. Und Stille, diesmal unterbrochen vom fernen Krächzen von Krähen und Raben.
»Es werden immer mehr.« Ciri legte den Kopf zurück. »Sie fliegen und fliegen ... Wie im Herbst ... Widerwärtige Vögel ... Die Priesterinnen sagen, dass das ein schlechtes Zeichen ist ... Ein Omen oder so ähnlich. Was ist ein Omen, Frau Yennefer?«
»Lies im
Dhu Dwimmermorc
nach. Da gibt es ein ganzes Kapitel zu diesem Thema.«
Schweigen.
»Frau Yennefer ...«
»Zum Kuckuck. Was denn nun schon wieder?«
»Warum ist Geralt so lange ... Warum kommt er nicht?«
»Er hat dich sicherlich vergessen, Eulchen. Hat ein hübscheres Mädchen gefunden.«
»Och, nein! Ich weiß, dass er mich nicht vergessen hat! Konnte er gar nicht! Das weiß ich, ich weiß es ganz bestimmt, Frau Yennefer!«
»Gut, dass du das weißt. Bist ein glückliches Eulchen.«
»Ich habe dich nicht gemocht«, wiederholte sie.
Yennefer schaute sie nicht an, stand weiter mit dem Rücken zu ihr am Fenster und schaute zu den im Osten dunkelnden Anhöhen hin. Über den Höhen war der Himmel schwarz von Krähen- und Rabenschwärmen.
Gleich wird sie fragen, warum ich sie nicht mochte, dachte Ciri. Nein, sie ist zu klug für so eine Frage. Sie wird trocken auf die grammatische Form hinweisen und sich erkundigen, seit wann ich die Vergangenheit verwende. Und ich werde es ihr sagen. Ich werde ebenso trocken wie sie sein, werde ihren Tonfall parodieren, sie soll wissen, dass ich auch Kälte, Gefühllosigkeit und Gleichgültigkeit vortäuschen kann, als schämte ich mich der Gefühle und Emotionen. Alles werde ich ihr sagen. Ich will, ich muss ihr alles erzählen. Ich will, dass sie alles weiß, noch ehe wir den Tempel der Melitele verlassen. Ehe wir abreisen, um endlich den zu treffen, nach dem ich mich sehne. Den, nach dem sie sich sehnt. Den, der sich gewiss nach uns beiden sehnt. Ich will ihr sagen, dass ...
Ich werde es ihr sagen. Sie braucht nur zu fragen.
Die Zauberin wandte sich vom Fenster ab, lächelte. Sie fragte nichts.
Tags darauf ritten sie los, früh am Morgen. Beide in Reisekleidung für Männer, mit Mänteln, Mützen und Kapuzen, die die Haare verbargen. Beide bewaffnet.
Nur Nenneke verabschiedete sie. Sie sprach lange und leise mit Yennefer, dann drückten sich beide, die Zauberin und die Priesterin, kräftig wie Männer die Hände. Ciri, die Zügel ihrer Apfelschimmel-Stute in der Hand, wollte sich ebenso verabschieden, doch Nenneke erlaubte es ihr nicht. Sie umarmte sie, drückte sie an sich, küsste sie. Sie hatte Tränen in den Augen. Ciri auch.
»Na«, sagte die Priesterin schließlich und
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