Das Erbe der Uraniden
Kabinentür… Im Bruchteil einer Sekunde war es ihm klargeworden, was Canning beabsichtigte. Mit letzter Willensanstrengung raffte er alle Kräfte zusammen, hob sich in die Knie…
Canning, fassungslos, er hatte Awaloff tot geglaubt, stutzte einen Moment – dann, mit einem Wutschrei stürzte er sich auf ihn. In der Todesangst krampfte Awaloff seine Finger in den rechten Rockaufschlag seines Gegners. Vergeblich rang Canning mit ihm. Stürzte er ihn hinaus, lief er Gefahr, mitgerissen zu werden… Er machte seine rechte Hand frei, schlug Awaloff mit voller Kraft gegen die Schläfe. Dieser taumelte, der Griff seiner Hände lockerte sich… noch ein zweiter Schlag – Awaloff stürzte rücklings aus der offenen Kabinentür… Und als wolle Canning ihm nach, sprang er auf den Fallenden zu… »Die Papiere! Die Papiere!« schrie er laut. Beim Loslassen waren sie aus der Tasche gerissen, in Awaloffs Händen geblieben… Zu spät. Cannings ausgestreckte Hand erreichte sie nicht mehr, mit Mühe bewahrte er sich selbst vor dem Sturz.
Aufatmend trat er in den Raum zurück. Mögen die Papiere auch zum Teufel sein… So wären denn alle Bande, die mich an diesen Mann fesselten, zerrissen.
Sein Blick fiel auf den Handkoffer Awaloffs… Zerrissen?… Halt, noch nicht ganz!
Noch einmal öffnete er die Tür. Der Koffer folgte seinem Herrn in die dunkle Tiefe. Er schlug die Tür ins Schloß. Sein Blick ging zu dem Pilotenraum.
Er stutzte einen Augenblick. Die Besatzung würde sich wundern, wenn Awaloff bei der Landung fehlte.
Einen Ausweg! Er nahm eine Routenkarte zur Hand, blickte auf die Uhr. Der Flugplatz von Quito lag auf seinem Wege. Er würde ihn bei Dunkelheit erreichen.
Ein Befehl durch das Sprachrohr an den Piloten, in Quito zu landen.
*
Weithin dehnten sich die Pampas der Llanos de Menso im argentinischen Teil des Gran Chaco. Hier in der Nähe des Rio Vermejo lagen die ausgedehnten Besitzungen van der Meulens. Von hier aus wanderten jahraus, jahrein unabsehbare Viehherden in seine Schlachthäuser, um von dort in gefrorenem Zustand in die Welt verfrachtet zu werden.
Am Ufer des Rio Vermejo, in einer landschaftlich unvergleichlich schönen Lage, hatte sich van der Meulen inmitten seiner Besitzungen ein schloßartiges Landhaus errichtet, in dem er einen Teil des Jahres zuzubringen pflegte. Auf einer von hohen Spiegelscheiben umkleideten Veranda, die nach Süden zu auf den Fluß schaute, saß er am Teetisch. Schon berührte die Sonne den Horizont, und schnell wuchsen die Schatten der Dämmerung.
»Wo nur Hortense bleibt, Miß Violet«, wandte er sich an ein junges Mädchen, das ihm gegenübersaß. »Schon steht die Sonne tief. Diese einsamen späten Spaziergänge«, er schüttelte den Kopf, »selbst Ihre Begleitung, meine liebe Miß Violet, lehnt sie ab, die Sie ihr doch im Laufe der Zeit immer mehr Freundin geworden sind. Ich bin erst seit ein paar Tagen hier. Tat sie das auch schon vorher?«
Das junge Mädchen nickte.
»Unbegreiflich! Dazu ihr schlechtes Aussehen… sie macht mir Sorge. – Sollte sie eine Nachricht von Robert Canning, ihrem Verlobten…?«
»Ich glaube kaum«, kam es zögernd aus Violets Munde.
»Seine Reise zu dieser Zeit? Daß seine Geschäfte in Europa so dringend sind… nach Europa, wo es drunter und drüber geht, kein Mensch seines Lebens sicher ist?«
Unter dem forschenden Blick van der Meulens vermochte Violet nur mit Mühe die aufsteigende Verlegenheit zu unterdrücken.
»Sie wird sich vielleicht ängstigen.«
»Hortense sich ängstigen, um Canning? Meinen Sie das ehrlich, Miß Violet, oder sagen Sie das nur, um etwas zu sagen?«
Während das junge Mädchen noch nach einer Antwort suchte, ertönten aus dem Radioapparat die neuesten Nachrichten vom Kriegsschauplatz:
»Teile der geschlagenen roten Streitkräfte in Nordamerika auf der Flucht nach dem Süden… stehen kurz vor der Vereinigung mit denen, die von Süden her abgedrängt sich der Panamagegend nähern… Aller Voraussicht nach werden die roten Kräfte nach ihrer Vereinigung noch einmal das Schlachtenglück versuchen…«
Van der Meulen nickte befriedigt vor sich hin. »Sie werden’s vergeblich versuchen. Der Tanz dürfte endgültig ausgespielt sein. Mag auch vielleicht noch manches Blut fließen, manches Gut zerstört werden. Das arme Europa, wie mag’s da aussehen…«
Die Kämpfe hier in Südamerika waren im Verhältnis zu denen in den anderen Teilen der Welt geringfügig. Sie spielten sich Hauptsächlich in den
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