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Gelinkt

Gelinkt

Titel: Gelinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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    England, September 1977
»Bret Rensselaer, du bist ein rücksichtsloser Bastard.« Es war die Stimme seiner Frau. Sie sprach leise, aber mit beachtlichem Nachdruck, als spräche sie das Ergebnis langen, angestrengten Nachdenkens aus.
    Bret öffnete die Augen einen Spaltbreit. Er lag in jenem genußvollen Halbschlaf, aus dem man so ungern erwacht. Aber Bret Rensselaer war kein Genießer, sondern ein Puritaner. Er hielt sich für einen direkten Nachkommen jener gottesfürchtigen, unnachgiebigen Nonkonformisten, die Neuengland kolonisiert hatten. Er öffnete die Augen ganz. »Was war das?« Er sah auf den Wecker.
    Es war noch sehr früh. In sattem Gelb flutete die Morgensonne durch die Raffgardinen ins Zimmer. Er sah seine Frau aufrecht im Bett sitzen, eine Hand umklammerte die Knie, in der anderen hielt sie eine Zigarette. Sie blickte ihn nicht an. So, als wüßte sie gar nicht, daß er da neben ihr lag. In die Ferne starrend, paffte sie ihre Zigarette, ohne sie, selbst während sie den Rauch ausblies, völlig aus dem Mund zu nehmen. Die Kringel schwebenden Rauchs waren gelb wie die Zimmerdecke und wie das Gesicht seiner Frau.
    »Du bist total kaltblütig«, sagte sie. »Du hast genau den richtigen Job.« Sie hatte nicht nach unten geblickt, um sich davon zu überzeugen, daß er wach war. Ihr war das egal. Sie sprach aus, was ihr auf der Zunge lag, Dinge, über die sie lange nachgedacht, die sie aber bisher niemals zu sagen gewagt hatte. Ob ihr Mann ihr zuhörte oder nicht, schien unwesentlich zu sein. Ohne ein Wort der Erwiderung schob er die Decke zurück und stieg aus dem Bett. Es war keine heftige Bewegung. Er tat es behutsam, als wollte er sie nicht stören. Sie drehte den Kopf und blickte ihm nach, als er über den Teppich ging. Nackt wirkte er dünn, um nicht zu sagen mager. Deshalb sah er ja auch so elegant aus in seinen gutgeschnittenen Anzügen. Sie wünschte, sie selbst wäre auch so mager.
    Bret ging ins Badezimmer, zog die Vorhänge zurück und öffnete das Fenster. Es war ein herrlicher Herbstmorgen. Die sonnenbeschienenen Bäume warfen lange Schatten über das goldbestäubte Gras. Noch nie hatte er die Blumenbeete so üppig blühen sehen. Am Ende seines Gartens, wo die zappelnden Zweige der Trauerweiden das Wasser befingerten, sah der langsam strömende Fluß fast blau aus. Zwei am Steg angebundene Ruderboote hoben und senkten sich sanft inmitten einer Flotille toter Blätter. Er liebte dieses Haus.
    Seit dem achtzehnten Jahrhundert bevorzugten viele wohlhabende Londoner solche flußaufwärts an der Themse gelegenen Häuser. Mit Grundstücken, die sich bis zum Flußufer erstrecken, liegen sie von Chiswick bis Reading entlang der Straße hinter anonymen Backsteinmauern verborgen. Es gibt sie in allen erdenklichen Grundrissen, Größen und Baustilen, von palastartigen Landsitzen in venezianischem Geschmack bis zu bescheidenen Villen mit drei Schlafzimmern wie diese hier. Bret Rensselaer holte zehnmal tief Luft, wie er’s stets tat, ehe er seine Gymnastik machte. Der Anblick des Gartens hatte ihn beruhigt. Das war immer so. Er war nicht immer anglophil gewesen, aber seitdem er in diesem bezaubernden Land angekommen war, wußte er, daß er der besessenen Liebe, die er für alles, was damit in Zusammenhang stand, empfand, niemals entkommen würde. Der Fluß, der unten am Garten vorbeifloß, war nicht irgendein gewöhnliches kleines Gewässer, sondern die Themse. Die Themse mit ihren Erinnerungen an die alte London Bridge, Westminster Palace, den Tower und, natürlich, Shakespeares Globe Theatre. Noch jetzt, da er schon seit Jahren hier wohnte, fiel’s ihm schwer zu glauben, daß er sein Glück nicht träumte. Er wünschte, daß seine amerikanische Frau seine Entzückung teilte, aber die fand England »rückständig« und sah nur die schlechten Seiten des Lebens dort.
    Er starrte sich im Spiegel an, während er sich kämmte. Er hatte noch immer das energisch vorstehende Kinn und das blonde Haar, das seine Mutter ihm und seinem Bruder vererbt hatte. Auch die unverwüstliche Gesundheit, ein unbezahlbares Vermächtnis. Er zog den Morgenmantel aus roter Seide an. Durch die Badezimmertür hörte er das Geräusch einer Bewegung und das Klirren von Glas, und er wußte, daß seine Frau einen Schluck Mineralwasser trank. Sie schlief schlecht. Er hatte sich an ihre dauernden Schlafstörungen inzwischen gewöhnt. Es überraschte ihn nicht mehr, wenn er nachts erwachte und sah, daß sie Wasser trank, eine Zigarette

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