Das Erbe des Bösen
fragte er.
»In welchem Hotel wohnen Sie denn?«
»Im Hotel Kurfürstendamm, in der Nähe des Zoos«, log Rolf.
»Ich bin in einer Stunde da.« Hoffmann öffnete die Tür, und Rolf ging an ihm vorbei ins Treppenhaus. Der Mann sah ihm nach.
Draußen bog Rolf in die Bleibtreustraße ein und ging an Restaurants, Antiquitätenläden und Galerien vorbei zum Kurfürstendamm. Erst dort blieb er vor dem Bulgari-Schmuckgeschäft stehen, auf dem noblen, grünen Boulevard, über den der Montagsverkehr strömte. Sein schneller Schritt hatte ihn außer Atem gebracht, sein Puls wollte sich gar nicht mehr beruhigen. Er bereute |20| es, sich am Morgen nicht mehr Zeit für das Frühstück gelassen zu haben.
Je mehr er darüber nachdachte, umso zweifelhafter kamen ihm Hoffmanns Worte und überhaupt die ganze Situation vor. Was war da los? Warum trieb Katharina ein solches Spiel mit ihm? Konnte es damit zu tun haben, dass . . . Natürlich nicht. Auf keinen Fall. Allein der Gedanke daran war paranoid.
Und doch drängten sich die alten, dunklen Geschichten in Rolfs Gedanken, die Zeiten, an die er sich nicht mehr erinnern wollte. Auch damals hatte er auf der Hut sein müssen, kleinste Zeichen deuten, die Absichten der Menschen wittern – und er hatte Angst gehabt, immerfort Angst gehabt . . .
Er zog das Telefon aus der Tasche. Dort war eine SMS von Erik eingegangen.
»ALLES OK? RUF AN!«
Verärgert löschte Rolf die Nachricht. Sein Blick fiel auf eine Bushaltestelle, wo ein elegant gekleideter Mann den Fahrplan studierte. Rolf fragte ihn höflich nach der Telefonnummer der Auskunft. Ohne Probleme bildete er die Wörter und Sätze, obwohl er seit Jahrzehnten die deutsche Sprache nicht mehr aktiv gebraucht hatte.
Die Auskunft kannte keine Katharina Kleve. Rolf dachte kurz nach, rief dann noch einmal an und bekam, was er suchte. Es gab nur eine Person mit dem Namen Arno Plögger. Arno war der Bruder von Hans, dem Exmann von Katharina – und der einzige Mensch, der etwas über Katharina wissen konnte.
Es war seltsam, jemanden anzurufen, den man seit Jahrzehnten nicht gesehen hatte. Nachdem Plögger sich gemeldet hatte, stellte sich Rolf vor und sprach ihm sein Beileid über den Tod seines Bruders aus, auch wenn der Todesfall bereits mehrere Monate zurücklag.
Plögger erinnerte sich sofort an Rolf. Er schien ein bemerkenswertes Gedächtnis zu haben . . .
»Bist du in Berlin?«, fragte Plögger.
»Ich wollte Katharina treffen, aber wie es aussieht, habe ich |21| ihre Adresse verloren.« Rolf sah keinen Anlass, den wahren Grund für seinen Besuch zu nennen.
»Du bist in Berlin, um Katharina zu sehen?«
»Könntest du mir ihre Adresse geben?«
»Sicher . . .«
Nach einem Moment kam der offenbar erstaunte Plögger ans Telefon zurück und gab Rolf die Adresse eines kleinen Pflegeheims in Lichtenrade im Südosten von Berlin.
Rolf bedankte sich und sagte: »Es wäre schön, irgendwann einmal über die alten Zeiten zu reden. Es gibt nicht mehr viele, die sich daran erinnern können.«
»Vielleicht ist das auch besser so«, gab Plögger ungeniert zurück, und beide wussten, dass dies nicht nur ein Scherz war. Während des Krieges hatte Hans oft zu Rolf gesagt, dass ihm die Begeisterung seines kleinen Bruders in den Reihen der Hitlerjugend nicht gefiel, und erst recht nicht später in der Waffen-SS. Arno war der einzige Mensch, den Rolf kannte, der in Frankreich, auf dem Balkan und später, schon im Offiziersrang, in Russland in der SS gedient hatte. Er war mit Aufgaben betraut gewesen, die Hans augenscheinlich peinlich gewesen waren und von denen er darum nur ausweichend gesprochen hatte. Rolf war davon nur das Wort »Einsatzgruppe« in Erinnerung geblieben. Was es damit auf sich hatte, war ihm erst lange nach Kriegsende klar geworden.
Er steckte den Zettel mit Katharinas Adresse ein und machte sich auf den Weg, ein Taxi zu suchen.
Arno Plögger saß in der Küche seiner kleinen, kargen Wohnung in Neukölln, trank Bier direkt aus der Flasche und dachte über den Anruf von Rolf Narva nach.
Dann beschloss er, sein Glück zu versuchen.
Wenn dieser Hoffmann schon so ein unwahrscheinliches Interesse an dem toten Hans und dessen Exfrau an den Tag gelegt hatte, konnte er durchaus auch an einem Mann interessiert sein, der immer noch hinter Katharina her war.
|22| Und wenn Hoffmann sich für etwas genügend interessierte, war er unter Umständen auch bereit, für Informationen zum Objekt seines Interesses zu zahlen.
Plögger
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