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Das Erbe des Bösen

Das Erbe des Bösen

Titel: Das Erbe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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    Im Sucher der Kamera sah man das unbewegte Meer, in dem sich schwere Wolken spiegelten. Der orange leuchtende Punkt einer Schwimmweste durchbrach den glatten Wasserspiegel. Ein zehnjähriges Mädchen schwamm im Wasser und fröhliche Schreie hallten durch die Luft.
    Olivia.
    Die Kamera schwenkte etwas zur Seite, fixierte dann eine Frau im Bikini, die am Ende des Bootsstegs hockte und von dem Mädchen nass gespritzt wurde. Die Frau stand auf, ihre blonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden. Wohlproportionierter Körper, weiße Haut, kein Hinweis darauf, dass sie schon vierzig war. Der herangezoomte Ausschnitt erfasste eine ganze Weile das Bikinihöschen, das die Frau über ihrem Po zurechtzog.
    Katja.
    Der Sucher glitt am Steg entlang zum Ufer. Auf einem Brett, das sie als Bank über die Steine gelegt hatten, saß ein Junge mit einer Fernbedienung in der Hand. Er stand auf und lief zu seinem Modellauto, das im Sand stecken geblieben war.
    Emil.
    Der Mann nahm die Kamera von den Augen. Hinter dem dichten Laubwerk war er vom Steg aus nicht zu erkennen.
    Da waren sie: Olivia, Katja und Emil.
     
    Rolf Narva hätte doch seinen Stock mitnehmen sollen. Er blieb stehen, wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn und versuchte, tief durchzuatmen, ohne zu wissen, ob der leichte |8| Schwindel von der Anspannung kam oder von dieser schon so früh am Morgen schweißtreibenden Hitze.
    Das dreistöckige Haus vor ihm sah genauso aus, wie er es in Erinnerung hatte. Nichts hatte sich verändert. Auch nicht die Flügeltür und das Bogenfenster darüber.
    Nur war jetzt rechts neben der Tür eine Tafel mit dichter Beschriftung angebracht.
    Rolf spürte, wie er beim Lesen anfing zu zittern.
    IN DIESEM GEBÄUDE BEFAND SICH VON 1927   BIS 1945   DAS KAISER-WILHELM-INSTITUT FÜR ANTHROPOLOGIE, MENSCHLICHE ERBLEHRE UND EUGENIK.   DIE DIREKTOREN EUGEN FISCHER UND OTMAR VON VERSCHUER LIEFERTEN MIT IHREN MITARBEITERN WISSENSCHAFTLICHE BEGRÜNDUNGEN FÜR DIE MENSCHENVERACHTENDE RASSEN- UND GEBURTENPOLITIK DES NS-STAATES.
    Die Buchstaben waren gut lesbar. Sie waren aus Messing gegossen und für die Ewigkeit gedacht.
    DIE VOM REICHSFORSCHUNGSRAT BEWILLIGTEN UND VON DER DEUTSCHEN FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT FINANZIERTEN ZWILLINGSFORSCHUNGEN DES SCHÜLERS UND PERSÖNLICHEN MITARBEITERS VON VERSCHUER, JOSEF MENGELE, IM KZ AUSCHWITZ WURDEN IN DIESEM GEBÄUDE GEPLANT UND DURCH UNTERSUCHUNGEN AN ORGANEN SELEKTIERTER UND ERMORDETER HÄFTLINGE UNTERSTÜTZT . . .
    Rolf senkte den Blick. Als er wieder hochsah, merkte er, dass er einem jungen Mann, der wie aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht war, in die Augen starrte.
    Unwillkürlich wich er dessen Blick aus und las auf den blauen Schildern links neben der Tür, wen das Gebäude heute beherbergte: das Institut für Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin. Der durchdringende, harte Blick des jungen Mannes mit den Locken brachte Rolf dazu, rasch weiterzugehen. Es fiel ihm schwer, das Gleichgewicht zu halten, er musste sich an der Kühlerhaube eines geparkten Wagens abstützen. Der Mann machte keine Anstalten, ihm zu helfen, sondern musterte ihn neugierig.
    |9| Schließlich ging Rolf mit unruhig pochendem Herzen auf der Ihnestraße davon, ohne sich noch einmal umzublicken.
    Wie oft hatte er vor jener Flügeltür auf Ingrid und Katharina gewartet. Auch damals war es Spätsommer gewesen, aber wesentlich regnerischer und kühler als jetzt. Und auch damals hatte sein Herz heftig gepocht. Zu jener Zeit war es stark gewesen wie eine Strömberg-Wasserpumpe, jetzt schlug es schwächer und machte bisweilen derartige Verrenkungen, dass ihm immer häufiger die Angst vor dem letzten Herzschlag die Kehle zuschnürte.
    Ein letztes Mal drehte Rolf sich zu dem Haus um. Tiefhängende dunkle Wolken trieben darüber hinweg. Auf der Straße fuhren keine Autos, nur das Gurren der Tauben brach die Stille.
    Katharina . . .
    Rolf hätte sich gern auf einer Bank ausgeruht, aber dafür musste er zuerst den Aufruhr in seinem Inneren loswerden, und das gelang ihm einfach nicht. Ihm war kalt und gleichzeitig schwitzte er, dieses Dahlem, überhaupt dieses ganze Berlin, brachte ihn noch viel mehr aus der Fassung, als er es befürchtet hatte. Außerdem war er zu warm angezogen. In Helsinki war es schon herbstlich gewesen, doch als er gestern Abend in Tegel aus dem Flugzeug gestiegen war, schlug ihm drückende Schwüle entgegen.
    Die Gedanken in seinem Kopf sprangen hin und her, dabei waren die

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