Das Erbe des Zitronenkraemers
Sie haben von Anfang an gewusst, oder zumindest vermutet, dass es sich um eine vorsätzliche Tat gehandelt hat!” Lenz wies mit seinem dicken Zeigefinger auf Hannes. Dieser war so nah, dass Hannes glaubte, er würde ihm gleich in die Brust piksen.
Unweigerlich spürte Hannes, wie sein Körper auf dem wackeligen Stuhl weiter nach hinten rutschte. Die Lehne bedankte sich dafür mit einem zarten Quietschen.
„Aber wie sollte ich … wie kommen Sie überhaupt darauf?”, rief er aus, doch Lenz unterbrach Hannes mit einer Handbewegung. Dann wühlte er erneut in seinen Akten.
„Hier”, triumphierte er schließlich und wedelte mit einem unscheinbaren grauen Zettel vor Hannes‘ Nase herum. „Hier steht’s: Am Mordtag, um genau 23.12 Uhr. Ein Telefonat. Sie müssen wissen, wir registrieren alles. Sie selbst haben das Telefonat geführt.”
Er hoffte auf eine Reaktion von Hannes, die allerdings auf sich warten ließ. Krampfhaft überlegte Hannes, seine grauen Zellen rotierten. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, worauf der Kommissar hinauswollte.
„Warum wollten Sie wissen, ob Anton Schönemann noch sicher gewickelt und gepudert in der Kinderkrippe nuckelt?”
Endlich war die Katze aus dem Sack. Hannes lachte erleichtert.
„Was gibt’s da zu lachen?”, zerstörte Lenz abrupt seine gute Laune. „Sie wussten also, dass da was nicht stimmt und es möglicherweise einen Zusammenhang mit dem Steinmetzfall gibt!”
„Was?“
„Nein … nein … meine Freundin. Meine Freundin hat mich zu diesem Anruf gedrängt. Sie war panisch, hatte Angst. Kein Wunder nach der Steinmetzgeschichte vom Frühjahr.”
Lenz sah Hannes mit durchdringendem Blick an. Diesmal sprach er langsam und ruhig. „Aha, Frau Seifert ist also auch wieder mit im Boot.”
Nun spürte Hannes Lenz‘ Finger wirklich in seiner Brust. „Herr Harenberg, ich bitte Sie eindringlich! Sagen Sie uns diesmal, was Sie wissen! Einen Alleingang ihrerseits wird es diesmal nicht geben!”
Hannes nickte mechanisch. Er hatte ganz sicher nicht vor, wieder Privatdetektiv zu spielen und Annes und sein eigenes Leben zu riskieren.
„Diesmal werden Sie mit uns zusammenarbeiten”, zerstörte Lenz Hannes‘ gerade gesponnene Illusion.
„Hören Sie sich unauffällig um, beobachten Sie ihr Umfeld, schnüffeln Sie ein bisschen im Sumpf. Aber teilen Sie uns mit, wenn Ihnen was außergewöhnlich erscheint!”
Alles in Hannes protestierte. „Aber ich habe gar kein Interesse ...!”, platzte er heraus. „Oh doch, das haben Sie. Glauben Sie mir, ich fürchte, mehr, als ihnen lieb sein dürfte”, erwiderte Lenz ungerührt.
Was meint der damit?
Hannes spürte, wie sein Herzschlag sich auf einen Hundertmeterlauf vorbereitete.
„Wir gehen stark davon aus, dass der Mord an Martin Krischel in Zusammenhang mit dem Steinmetzfall steht. Auch Sie gehen davon aus, sonst hätten sie sich nicht nach dem Aufenthaltsort von Anton Schönemann erkundigt”, schloss er messerscharf und wartete auf eine Antwort, auf irgendeine Bestätigung. Doch Hannes konnte ihm keine geben.
Lenz seufzte. „Herr Harenberg, ich bitte Sie dringend um Ihre Unterstützung und Offenheit. Verschweigen Sie nichts. Wie gesagt: in Ihrem eigenen Interesse.”
Jetzt wurde sein Blick sanft, fast mitleidig.
Hannes wurde ganz mulmig. „Ich verstehe immer noch nicht …”
Lenz wandte seinen Blick ab und kramte erneut in den Akten. Er zog einen Plastikbeutel unter dem Stapel hervor. Darin konnte Hannes einen Wanderführer erkennen. Das gleiche Exemplar, das die Beamten aus der Tasche von Bernd Steinmetz‘ Leiche gezogen hatten. Die Polizei tippte wohl deshalb auf eine Verbindung der beiden Mordfälle.
Hannes spürte die Schweißtropfen auf seiner Stirn, bereit für die Vereinigung zu einem tropfenden Rinnsal.
Langsam wickelte Lenz den Wanderführer aus seiner durchsichtigen Weihnachtsverpackung und schlug eine markierte Seite auf: das Gebiet des Reviers. Jenes Gebiet, in dem die Treibjagd stattgefunden hatte. Jemand hatte akribisch Linien und Kringel auf der Karte verteilt.
Mit zitternden Fingern nahm Hannes die Karte, die Lenz vor ihm ausgebreitet hatte.
Neben jedem Kringel stand der Name des Jägers, der diese Position während der Treibjagd besetzt hatte.
Hier hatte sich jemand wohl ziemlich gut informiert. Jetzt verstand Hannes auch, warum Lenz wollte, dass er sich als Insider mal umhören sollte.
Er studierte die Karte weiter. Was er dann sah, ließ die Angst wie einen überkochenden Topf
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