1654 - Komm in meine Totenwelt
Er blieb noch neben dem Bett stehen. Im Schlafzimmer war es nicht unbedingt warm, das ließen die Außentemperaturen einfach nicht zu, die eine schon sibirische Kälte gebracht hatten, sodass Stadt und Land wie eingefroren wirkten, Carpenter griff nach seinem Bademantel und streifte ihn über. Jetzt ging es ihm etwas besser. Aber die innere Kälte blieb, und die ließ ihn schon zittern.
Was ihn erwartete, wusste er. Seine Frau Suzie war aufgestanden und ins Nebenzimmer gegangen. Sie hatte es im Bett nicht mehr ausgehalten. Es war einfach zu schlimm für sie, wenn diese verfluchten Träume sie erwischten.
Er ging mit kleinen Schritten auf die Tür zu. Davor hielt er an, um seinen Blick in das andere Zimmer zu werfen, wo seine Frau saß. Er hörte ihre heftigen Atemstöße und sah von ihr selbst nur den Hinterkopf, der über die Oberkante der Sessellehne ragte.
Das dunkle Haar sah zerzaust aus, und hin und wieder war ein Zittern des Kopfes zu erkennen.
Al zog die Tür weiter auf, um in den Wohnraum treten zu können. Er schob sich hinein und war dabei so leise, dass seine Frau ihn nicht hören konnte.
Für die Einrichtung hatte er keinen Blick. Ihn interessierte nur seine Frau, die jetzt anfing zu stöhnen, was ihre heftigen Atemzüge immer wieder unterbrach.
Er ging weiter, bis er die Rückseite des Sessels fast erreicht hatte. Dort blieb er stehen und lauschte dabei dem, was seine Frau von sich gab.
Es waren nicht nur die hektischen Atemstöße. Hin und wieder, wenn sie pausierte, hörte Al ein Flüstern, das aus dem Mund seiner Frau drang. Er verstand die Worte nicht, aber sie klangen alles andere als optimistisch.
Er wartete, bis sie eine Pause eingelegt hatte, dann streckte er seine Arme aus und legte ihr beide Hände sacht auf die Schultern. Nur nicht zu hastig, sie sollte sich auf keinen Fall erschrecken.
Suzie zuckte nur leicht zusammen, und dann waren ihre Atemstöße nicht mehr zu hören.
»Ich bin es, Liebes. Du musst keine Angst mehr haben.«
»Ja, ja«, sagte sie. Es klang wenig überzeugend.
»Möchtest du sprechen?« Al spürte, wie die Schultern unter seinen Händen zitterten.
Er wusste, dass es ihr schwerfiel, über bestimmte Dinge zu reden, aber es war besser, als würde sie dieses Trauma für sich behalten.
»Ja - oder - weiß nicht.« Sie hatte die Antwort geflüstert. Al war nicht entgangen, wie schwer ihr die Worte gefallen waren.
»Warte, ich komme direkt zu dir.« Er kannte das Spiel. Es war besser, wenn sie sich anschauten.
Das Licht der Lampe reichte aus, um ihre Gesichter sehen zu können.
Die Stehlampe hatte einen Schirm, der das Licht weich machte. Es war eine alte Lampe. Suzie hatte sie von ihren Großeltern mitgenommen, und sie liebte diesen Lichtspender.
Suzie bewegte sich nicht im Sessel. Al holte sich einen Stuhl heran und nahm auf der gepolsterten Fläche Platz. Er suchte Blickkontakt mit seiner Frau, fand ihn auch und sah sofort den anderen Ausdruck darin.
Über seinen Rücken rann ein kalter Schauer. Das waren nicht mehr die normalen Augen seiner Frau. Diese hier sahen so anders aus. Der Blick war von einer tiefen Angst gezeichnet, wie er sie noch nie bei seiner Frau erlebt hatte. Sie fürchtete sich vor etwas, das nur sie gesehen hatte. Es hing mit ihren Träumen zusammen, das wusste er, aber der Blick war noch nie so schlimm gewesen wie in dieser Nacht.
Er gab Suzie noch etwas Zeit, bevor er seine Fragen stellte, und hing inzwischen seinen Gedanken nach.
Was mit Suzie passiert war, das konnte er einfach nicht begreifen. Es war schlimm, und es hatte nur sie getroffen und nicht ihn.
Es waren die schrecklichen Träume, die man ihr schickte. So etwas hatte er noch nie gehört. Man konnte von Albträumen sprechen, die sie regelmäßig heimsuchten, aber sie drehten sich stets um den gleichen Inhalt. Sie schienen nur auf ihre Person konzentriert zu sein.
»Bitte«, sagte er mit leiser Stimme. »Ich möchte, dass du mir alles erzählst.«
Suzie nickte, schwieg aber.
Er wartete, dann fragte er leise: »War es so schlimm?«
Sie nickte wieder.
Al fasste ihre Hände an. Sie waren kalt. Er schaute in die Augen seiner Frau, die ein wollendes Nachthemd trug, dessen Stoff sie zumindest im Bett warm hielt. Ihr Gesicht war sehr blass, das fahlblonde Haar sah wie gebleicht aus. Auch die Farbe der Lippen war kaum zu erkennen und die Augen lagen tief in den Höhlen. Das Traumerlebnis hatte sie vom Aussehen her altern lassen, und es schien ihm, als würde sie noch über das
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