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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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Morgen nicht einmal begegnet.
    Es gab eine Zeit, in der sogar Mom manchmal Probleme hatte, uns zu unterscheiden. Obwohl sie immer wieder betonte, dass wir bereits als Babys unterschiedlich gewesen seien. Ich war der jüngere von uns und ich folgte nach unserem ersten Geburtstag Jacobs Spuren wie ein Hündchen. Was er tat, tat auch ich. Was er mochte, mochte auch ich. Jacob war in allem der Leader und ich sein treuer Gefährte. Er war immer der mutigere von uns. Und wenn er Nein sagte, dann bedeutete das auch Nein.
    Mit vier Jahren stellte sich Jacob vor den Spiegel, deutete auf sich und sagte: »David.« Er setzte sich auf meinen Stuhl und zog meine Kleider und Schuhe an. Er überredete mich sogar, das Bett zu tauschen.
    Die Erwachsenen gewöhnten sich daran, von uns in der Wir-Form zu sprechen. Ein Ich gab es nicht. Wir machten alles gemeinsam. Wenn ich krank war, weigerte sich Jacob, allein in den Kindergarten zu gehen. Und umgekehrt war es genauso.
    Einer ohne den anderen war unvorstellbar. Alles an uns schien identisch, nicht bloß das Aussehen und das Verhalten. Wir waren völlig gleich in unserer genetischen Ausstattung. Wir erhielten stets dieselben Noten. Wir gingen beide mit Dad am Wochenende auf die Jagd. Wir spielten beide Baseball.
    Von Kindheit an waren wir eine Person. Heute würde ich sagen, wir waren wie die zwei Hirnhälften einer Person. Die eine Hälfte funktionierte nicht ohne die andere.
    Ich habe keine Ahnung, ob das bei allen eineiigen Zwillingen so ist, aber bei uns dauerte es bis zu diesem Unfall. Damals waren wir in der achten Klasse. Justins Mutter sollte uns abholen, um uns zum Training in die Schule zu bringen. Ich fühlte mich an diesem Tag krank und Mom bestand im letzten Moment darauf, dass ich zu Hause blieb. Und Jacob protestierte nicht. Vielleicht wäre das der Zeitpunkt gewesen, an dem unsere Ablösung ganz natürlich erfolgt wäre, aber es kam anders.
    Justins Mutter verpasste auf dem River Drive den Abzweig zur Highschool, und da sie bereits zu spät waren, wendete sie mitten auf der Fahrbahn. Der entgegenkommende Fahrer bemerkte den Van zu spät und krachte genau in die Tür, hinter der Jacob saß.
    Mein Bruder lag eine Woche im künstlichen Koma, sein Becken war komplett zertrümmert, eine Rippe durchbohrte seinen linken Lungenflügel und eine Niere musste entfernt werden.
    Obwohl er sich schneller als gedacht erholte, verbrachte er über ein Vierteljahr im Krankenhaus und noch einmal so lange befand er sich zur Rehabilitation in einer Spezialklinik etwa dreihundert Meilen von Great Falls entfernt.
    Als er endlich zurückkehrte, war nichts mehr wie vorher. Er musste die achte Klasse wiederholen, sodass wir in getrennten Jahrgängen waren. Und er musste das Baseballspielen aufgeben, weil sein rechtes Bein durch den Unfall drei Zentimeter kürzer war als das linke.
    Ich erinnere mich genau an den Tag, als meine Eltern ihn nach Hause brachten. Er ging immer noch auf Krücken. Ich hatte seit Monaten auf diesen Moment gewartet. Jacob kam endlich nach Hause und alles, alles würde wieder wie früher werden. Er stieg aus dem Wagen, und als mein Vater ihm die Treppe hochhelfen wollte, schob er ihn wortlos zur Seite. Er sah immer noch so aus wie ich, vielleicht dünner und blasser, aber er war mein anderes Ich.
    Ich dachte, er würde mich mit diesem schiefen Grinsen begrüßen, das wir beide Bruce Willis abgeschaut hatten. Stattdessen nickte er mir lediglich zu und verschwand in seinem Zimmer.
    Während er weg gewesen war, hatte ich unser Leben als Zwilling weitergeführt, als sei nichts geschehen. Aber als Jacob zurückkehrte, wechselten wir die Rollen.
    Ich war der Leader, aber Jacob folgte mir nicht wie ein Hündchen, sondern er verfolgte seine eigenen Spuren, die dazu führten, dass wir immer weiter auseinanderdrifteten. Bis wir fast nichts mehr gemeinsam hatten. Wenn ich zu dieser Zeit versuchte, die Welt mit Jacobs Augen zu sehen, wurde sie plötzlich steril, öde und trostlos. In seinen Augen war sie nichts als ein riesiges Labor, in dem jedes Experiment erlaubt schien. Und ich glaube, er ließ nichts aus. Schulverweise, Vandalismus, die ganze Palette. Ich weiß nicht, wie oft die Polizei damals vor unserer Tür stand. Aber trotz allem – jeder hatte Verständnis für ihn. Selbst die Polizeibeamten drückten ein Auge zu. Great Falls ist nicht besonders groß und mein Vater kein Unbekannter – sie alle wussten von Jacobs Schicksal und ich glaube, er tat ihnen leid.
    Ob sie sich

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